„Pest” bedeutet Affirmation und Transition, zum einen sozial/rechtlich (Namen, Pronomen, Personenstand), zum anderen medizinisch (Pubertätsblocker, Hormone, chirurgische Körpermodifikation, evtl. Begleit-Psychotherapie). Ab der Pubertät schwinden die Möglichkeiten für affirmativ behandelte genderdysphorische Mädchen und Jungen, sich mit ihrem biologischen Geschlecht/Gender zu arrangieren. Wir haben dies im Beitrag ROGD – Was tun? auf halb ernste Weise beschrieben.
Affirmation wird i. d. R. von der Annahme flankiert, dass die Gender-Identität biologisch ist, d. h. „born-that-way“ bzw. „Schicksal ist und sich nicht mehr ändert, wofür allerdings hinreichende wissenschaftliche Belege fehlen1. Affirmative Fachleute sehen Genderdysphorie primär als Ursache und nicht als Symptom für psychische Probleme in der Adoleszenz.
In der Leitlinie wird sogar der Eindruck vermittelt, die Erkundung anderer möglicher Ursachen für GD/GI wie konflikthafte homosexuelle Entwicklung oder Begleitumstände wie Autismus seien ethisch unangemessen (T. Amelung, 08.03.2025).
Kritische Eltern können die gender-affirmative Behandlung nicht nachvollziehen. Sie fürchten, dass ihre Kinder zu früh und zu schnell in ihrer Selbst-Diagnose Trans* bestätigt werden, dass sie unnötig medikalisiert werden, weil sie ganz andere Probleme haben oder beispielsweise mit ihrer Sexualität oder sexuellen Orientierung hadern. Genderdysphorie kann jedoch ein Symptom, eine Identifikations-Schablone und/oder Bewältigungsmechanismus sein. Eltern haben große Angst, dass ihre Kinder den falschen Weg einschlagen, weil affirmative Behandlerinnen gar nicht wissen wollen, was hinter dem Symptom, der Transidentität, steckt:
„Die Geschlechtsidentität ist eine subjektive Einschätzung. Es gibt keine Diagnostik wie eine Blutentnahme oder Ähnliches. Deshalb ist es sehr wichtig, den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, uns ihre Gedanken zu ihrer Geschlechtsidentität mitzuteilen. Wenn wir das nicht infrage stellen, können die jungen Menschen eigene Unsicherheiten zulassen und ihren Weg finden. Ihre subjektive Einschätzung ist für uns maßgeblich. Dabei ist die Haltung wichtig, dass Transsexualität heute nicht mehr als Krankheit gesehen wird, wie man früher noch dachte. Sondern ein subjektives Gefühl. Für uns bedeutet das: Wir prüfen nicht, wir stellen es nicht infrage. Wir schauen nicht, ob es wirklich so ist." Prof. Dr. S. Winter (Charité), FAZ, 2022
Stattdessen bestätigen die ExpertInnen unseren Teenagern „im falschen Körper zu sein“, solidarisieren sich mit ihrer Selbst-Diagnose und sie suggerieren ihnen, dass ihre psychischen Probleme durch die Medikalisierung und Modifizierung des Körpers verschwinden. Obwohl Genderdysphorie/-inkongruenz keine physische Krankheit ist und nicht sicher prognostiziert werden kann, ob es sich um ein manifestes Phänomen handelt, bieten sie ihre psychologischen Indikationsschreiben und drastische medizinische Dienstleistungen an. Eltern fürchten, dass ihre Kinder sich ‚freiwillig‘ gesunde Organe entfernen lassen (deren Entsorgung im Klinikmüll erfolgt), dass körperliche Interventionen ihre Dysphorie nicht „heilt“ und ihnen nicht das erwartete Glück bringen und sie Langzeit-PatientInnen sein werden, die infertil, hormonabhängig und geschädigt eine verkürzte Lebenszeit haben.
Wie überall auf der Welt werden Pubertätsblocker und Hormone in Deutschland im Off-Label-Use, d. h. ohne Zulassung für die Genderdysphorie Minderjähriger angewandt. Auch Operationen, hauptsächlich Mastektomien, aber selbst Genital-Operationen werden hierzulande bei genderdysphorischen Minderjährigen durchgeführt, obwohl es ein Verbot gibt.
Cholera
Gender-Kliniken und gender-affirmative BehandlerInnen kümmern sich leitliniengemäß nur dann um genderdysphorische Teens&Twens, wenn diese den medizinischen Pfad (Pubertätsblocker, Hormone, körpermodifizierende Operationen, Langzeitmedikalisierung) verfolgen. Ansonsten werden sie nicht behandelt, sie sind „draußen“, stehen mit ihrer psychischen Notlage therapeutisch vor einem NICHTS. Alternative Behandlungen außerhalb des affirmativ-medizinischen Pfades sind in der S2k-Leitlinie nicht vorgesehen, da sie für wirkungs- bzw. aussichtslos gehalten werden. In der Leitlinie heißt es, dass es bei einer dauerhaft persistenten Genderinkongruenz mit genderdysphorischem Leidensdruck „keine bewährte wirksame Behandlungsalternative ohne körpermodifizierende medizinische Maßnahmen“ gibt (Seite 2, keine Quellenangabe):
„Es gibt keine ursächliche psychotherapeutische Behandlung der Geschlechtsdysphorie. (S. 112)” weil „diese definitionsgemäß auf einer Geschlechtsinkongruenz beruht, die wiederum eine durch psychosoziale Interventionen nicht beeinflussbare dauerhafte innere Disposition einer Person ist" (S. 137).
Eine vorsichtigere ganzheitliche nicht invasive Behandlung durch insbesondere psychosoziale, psychologische und/oder psychiatrische Maßnahmen, wie sie in einigen europäischen Ländern (die sich von den körper-medizinisch orientierten Ansätzen à la WPATH abgewandt haben) mittlerweile als Primärversorgung angeboten wird, ist für viele genderdysphorische Teens und Twens in D-A-CH kaum erreichbar, da sie hier so gut wie nirgends angeboten wird, wenn Genderdysphorie eine Rolle spielt. Die veröffentlichte Leitlinie schließt diese Möglichkeit nun bedauerlicherweise völlig aus.
Hilary Cass versucht im Cass-Review-Abschlussbericht zu erklären, wie es zur affirmativen Standardbehandlung bei Genderdysphorie von Teenagern kommen konnte:
„14.54 The focus on puberty blockers and beliefs about their efficacy has arguably meant that other treatments (and medications) have not been studied/developed to support this group, doing the children and young people a further disservice.”
„14.56 Transgender males masculinise well on testosterone, so there is no obvious benefit of puberty blockers in helping them to ‘pass’ in later life.”
Auffällig ist doch, dass der frühe Beginn mit Pubertätsblockern etc. immer mit den Folgen für trans Mädchen begründet wird (männliche Statur, Behaarung, Stimme), Beispiel ZEIT, Fahrenkrug.
Bei trans Jungen (biologische Mädchen), die allein in Hamburg 90 % derjenigen stellen, die die Gender-Ambulanz aufsuchen, könnte – was die Vermännlichung angeht – auf Nummer sicher gegangen werden, indem frühestens im Erwachsenenalter die medizinische Transition beginnt. Stattdessen werden in Deutschland heute noch die Mädchen genauso behandelt wie früher nach dem alten Niederländischen Protokoll die Jungen, die seit frühester Kindheit genderdysphorisch waren.
Selbstkorrektur?
Obwohl es seit Jahren – auch von Fachleuten – vielseitige Kritik an der S2k-Leitlinie gegeben hat und mittlerweile recht viele systematische Reviews und Meta-Analysen mit geringer Evidenz vorliegen, fand hierzulande bisher keine relevante „Selbstkorrektur“ hinsichtlich Diagnose und Versorgung von genderdysphorischen Jugendlichen statt. Die Aktualisierung der Leitlinie wäre DIE Gelegenheit dazu gewesen.
Beispielsweise wurde in der S2k-Leitlinie die Orientierung an den WPATH-Empfehlungen beibehalten, obgleich die WPATH seit 2024 sehr stark in die Kritik geraten ist und deren Empfehlungen selbst ebenfalls nicht auf gut untersuchter Evidenz und Transparenz beruhen und manipuliert worden waren WPATH-SoC8: Politische Einflussnahme statt Wissenschaft. Nachweislich wurde die Veröffentlichung von beauftragten Evidenz-Reviews von der WPATH unterdrückt, da die Ergebnisse anscheinend die beabsichtigten Empfehlungen nicht absichern konnten.
Auch die im Cass-Abschlussbericht festgestellten „zirkulären Querverweise“ zwischen etlichen internationalen Leitlinien (wie WPATH, AAP, Endocrine Society), die trotz schlechter Evidenz den irreführenden Eindruck eines Konsenses zugunsten des medikalisierenden „gender-affirmativen“ Behandlungsansatzes erwecken, werden in der S2k-Leitlinie ignoriert. Dadurch, dass genau diese Leitlinien (WPATH, AAP, ES) als Referenz für viele konsensbasierte Empfehlungen herangezogen werden, reiht sich die S2k-Leitlinie fast nahtlos in das als „ideologiegeprägt“ und „wenig wissenschaftlich fundiert“ kritisierte Zitier-Kartell ein. Vom Cass-Review wurden nur die Leitlinien aus Finnland und aus Schweden für die Praxis als empfehlenswert beurteilt.
Umgekehrt ist die Bewertung des Cass-Reviews in der S2k-Leitlinie, die anscheinend erst kurz vor Veröffentlichung in die Leitlinie gekommen ist und somit von keiner Fachgesellschaft mehr geprüft wurde, irreführend und hinterlässt wiederum den Eindruck von ideologischer Voreingenommenheit.
Die LL-Kommission empfiehlt für Jugendliche mit GD die medizinische Transition in Form von PB, CSH und Mastektomie. Als einzige Voraussetzung müssen die Kliniker eine stabile Genderinkongruenz diagnostizieren. Laut Prof. Dr. Florian Zepf wurden jedoch in der Leitlinie keine Kriterien dafür gefunden (DSM-5-Kriterien für Genderdysphorie beziehen sich nur auf die letzten 6 Monate, die ICD-Kritierien für Genderinkongruenz enthalten keine Mindestdauer). Für Zepf sind daher die Empfehlungen in der klinischen Praxis nicht verwendbar. Auch die Datenlage spricht dagegen:
Obwohl es keine Evidenzbasis (und damit auch keinen belegten Nutzen) gibt, wurden für Teenager mit „stabiler“ Genderinkongruenz drastische Behandlungsmaßnahmen wie PB, CSH und Mastektomien formuliert, und zwar in Form von Konsensempfehlungen (unterstes Evidenzniveau). Damit soll die bisherige experimentelle Praxis u. a. mit Medikamenten im Off-Label-Use festgeschrieben werden.
Wenn die Eltern den medizinischen Maßnahmen nicht zustimmen, soll ein Familiengericht entscheiden und ggf. den Eltern die Gesundheitsfürsorge entziehen. Auch kann das Jugendamt entsprechend Kinder aus den Familien nehmen. Allerdings irritiert, dass das „Kindeswohl“ im Zusammenhang mit Genderinkongruenz/-Dysphorie nirgendwo in der Leitlinie definiert wurde.
„Der in der neuen Richtlinie vorgeschlagene, weitgehend 'pro-affirmative' Ansatz gibt Anlass zur Sorge. Insbesondere scheint die Richtlinie auf der falschen Annahme zu beruhen, dass jedes Kind eine allgegenwärtige und unveränderliche Genderidentität besitzt, die völlig unabhängig vom biologischen Geschlecht ist, und dass diese Identität naturalistisch vorgegeben ist."
„Aus diesen Gründen hat die neue S2k-Leitlinie das Potenzial, vulnerablen Kindern und Jugendlichen mit genderbezogenen Problemen bedeutenden Schaden zuzufügen. Viele der Empfehlungen in der Leitlinie sind nicht evidenzbasiert, stehen auf wackeligen Beinen und können daher bei vulnerablen Minderjährigen großen Schaden anrichten."
Es gibt in Deutschland zwei Fraktionen unter den Experten, die Leitlinien-Kommission (einschl. Transaktivisten) einerseits und eine 15-köpfige Gruppe von Professoren der Kinder- und Jugendpsychiatrie andererseits. Argumente und Kritikpunkte wurden im Jahr 2024 offen zwischen beiden Gruppen ausgetauscht. Zepf sagte der WELT:
„Einige Kritikpunkte seien teilweise in dem Dokument formell aufgenommen worden, allerdings ohne Folgen für die inhaltliche Ausrichtung.”
Die neue Leitlinie erfüllt nach Prof. Zepf nicht die erforderlichen evidenzbasierten Standards, um genderdysphorische Jugendliche angemessen zu unterstützen, er empfiehlt seinen KollegInnen, sie nicht zu übernehmen.
„Die Verantwortung für die Behebung dieser schwerwiegenden Mängel und die Wahrung des grundlegenden medizinischen Prinzips 'First, do no harm' liegt bei denjenigen, die diese sehr problematische Leitlinie entwickelt und genehmigt haben.”
Till Amelung hält die Leitlinie für einen Skandal und glaubt, dass sie sich nicht durchsetzen wird. Er schreibt:
„Niemand, der oder die klar bei Verstand ist, kann eine Leitlinie, die ihren fundamentalen Verriss gleich im Anhang mitliefert, als Grundlage für die klinische und therapeutische Arbeit nehmen. Das wäre glatter Selbstmord."
Die Leitlinie ist bereits heute stark veraltet, sie behauptet zudem, dass es keine Alternative zur medizinischen Transition gibt. Mittlerweile wurden zwar die Erkenntnisse der neueren systematischen Reviews, Meta-Analysen und die Empfehlungen von Ländern, die sich evidenzbasiert von WPATH-, AAP- und Endocrine-Society-Leitlinien abgewandt haben, zur Kenntnis genommen, aber die Empfehlungen wurden seit Anfang 2024 nur unwesentlich geändert bzw. angepasst.
Insofern bleibt es bei der Analyse der SEGM, dass die konsensbasierte Leitlinie bedauerlicherweise nicht die Grundanforderungen an glaubwürdige, vertrauenswürdige und evidenzbasierte Leitlinien erfüllt und stark überarbeitet werden müsste.
„'Sie gibt mit der Empfehlung von Pubertätsblockern und Hormonen bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie Empfehlungen, die vom internationalen Konsens erheblich abweichen.' Es stelle sich die Frage nach der Patientensicherheit und dem Kinderschutz, wenn körperlich gesunde Kinder und Jugendliche behandelt würden." (WELT)
Die S2k-Leitlinie in der aktuell veröffentlichten Form ist ein für sicherlich alle Zielgruppen schwer handhabbares Dokument mit einem Umfang von 425 Seiten & 130 Seiten Leitlinien-Report. Auch die Professoren-Kritik am Leitlinienentwurf (111 Seiten) wurde wiederum „kommentiert“. Ferner gibt es inhaltliche, methodische und qualitative Kritik:
Die S2k-Leitlinie ist bereits bei der Veröffentlichung 2025 stark veraltet, d. h. sie repräsentiert nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft/Facharztstandard, da die systematische Recherche der internationalen Literatur schon zwischen 2017 und 2019 eingestellt wurde. Das bedeutet, dass deutlich mehr als 50 % der relevanten Studien nicht systematisch, sondern ab 2020 nur inkohärent ausgewertet wurden. Die einzelnen Empfehlungen wurden mit Ergebnissen von ausgewählten Einzelstudien „belegt", die teilweise erhebliche methodische Mängel aufweisen, statt sie auf Basis von systematischen Reviews und Meta-Analysen und deren Bewertung herzuleiten.
Auch wurde keine transparente Bewertung der relevanten Studien/Evidenz nach 2020 mit international gängigen Methoden der Evidenzbasierten Medizin (EBM) (wie GRADE) vorgenommen.
There was no explicit link between the recommendations and the evidence base. None of the over 70 topic-specific recommendations, including the specific recommendations regarding psychotherapy, social transition, puberty blockers, cross-sex hormones, and surgery are linked to a body of evidence that is graded for certainty. Instead, the guidelines make specific treatment recommendations justifying them by findings from individual studies (which were not assessed for risk of bias and frequently presented highly biased findings as a trustworthy basis for recommendations).
Es wurde kein unabhängiges Institut mit diesen Aufgaben beauftragt, wie beispielsweise das IQWIG, dessen Kernaufgaben Evidenzrecherchen und -bewertungen sind. Das IQWIG kann viel schneller arbeiten als ein ehrenamtliches Leitlinien-Gremium, das mehr als 7 Jahre bis zur Version von 2025 benötigte. Zur Aktualisierung von Leitlinien schreibt RA Klaus Ulsenheimer bereits 2001:
„Experten veranschlagen die Dauer der Gültigkeit von Leitlinien auf zwei Jahre; schließlich wird im Durchschnitt alle fünf Jahre das medizinische Wissen durch die neueren Entwicklungen überholt.“ Dt. Ärzteblatt, „Entscheidungshilfen für Arzt und Patient“ (Dt. Ärzteblatt).
„It is estimated that the doubling time of medical knowledge in 1950 was 50 years; in 1980, 7 years; and in 2010, 3.5 years. In 2020 it is projected to be 0.2 years—just 73 days." (Densen, 2011)
Die von der LL-Kommission als positiv hervorgehobene lange Bearbeitungszeit ist somit eher ein Nachteil, denn innerhalb von 7 Jahren hätten demnach bereits mehrere Zyklen der Evidenz-Recherche, -Bewertung und der Verknüpfung mit den Empfehlungen stattfinden müssen.
Es bleiben Spekulationen, warum die Leitlinien-Kommission von der S3-Kategorie (evidenz- und konsensbasierte Leitlinie) lieber auf die S2k-Kategorie (konsensbasierte Leitlinie) umgeschwenkt ist, s. Punkt 4. Schien es ihr möglicherweise vorteilhafter, um das „WEITER WIE BISHER" festzuschreiben zu können? Sie behandeln alle, die nicht bei drei auf den Bäumen sind
Trotz 7-jähriger Bearbeitungszeit wurde keine S3-Leitlinie erstellt, deren qualitatives Hauptmerkmal Evidenz wäre und die dem Standard der (EBM) des 21. Jahrhunderts entspricht. Auch wenn häufig in der Leitlinie suggeriert wird, dass Evidenz irgendwie integriert worden sei, gehört sie lediglich in die zweitniedrigste AWMF-Kategorie S2k. Selbst die Kategorie S2e wurde nicht erreicht. Herausgekommen ist ein Dokument, das lediglich den Konsens derjenigen widerspiegelt, die der nicht repräsentativ zusammengesetzten Leitlinienkommission angehörten. Das bedeutet, dass jede der 77 Empfehlungen unter den Kommissionsmitgliedern diskutiert und abgestimmt wurde. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) beschreibt folgende Stufenklassifikation:
Die Begründung der Leitlinien-Kommission, aufgrund der insgesamt schwachen Evidenzlage sei keine S3-Leitlinie möglich, zieht nicht, da es bei jeder Studienlage möglich ist, eine evidenzbasierte Leitlinie zu erstellen. SEGM:
Guidelines can be created regardless of the level or strength of the available evidence. As long as a rigorous process for guideline development is followed, an evidence-based guideline can be produced even in the context of extremely limited, low-quality evidence.
Gibt die Studienlage nicht genügend Beweise für die Wirksamkeit, den Nutzen und die langfristige Schadensarmut her, dann müssen die Empfehlungen entsprechend vorsichtig ausfallen. Die Society for Evidence Based Medicine schreibt in ihrer Analyse:
„However, the claim that evidence-based recommendations are not possible when the evidence is of low quality is inaccurate. Evidence-based recommendations are always possible regardless of the state of the evidence. The key requirement for a highly quality evidence-based guideline is not that the guidelines are based on high-quality evidence but that they are based on the best availableevidence. This is achieved by conducting a systematic search, appraising the evidence for quality, and by basing the recommendations on the evidence while assigning an appropriate level of 'strength' to each specific recommendation. This methodologically rigorous process was not followed in the case of the update to the German child and adolescent gender dysphoria guidelines." SEGM
Die LL-Kommission hebt stets ihre Behandlungs-Erfahrung auf dem Gebiet der Transgender-Versorgung hervor, um der Konsens-Basierung (unterste Evidenzstufe) mehr Gewicht zu verleihen, u. a.:
„In Leitlinien einiger nationaler Gesundheitsbehörden, wie derzeit im 2024 veröffentlichten Cass Review für den NHS England und Wales (Cass, 2024), wird mit der Begründung der unsicheren Evidenzlage teilweise ein vergleichsweise restriktiverer Umgang für den Zugang Jugendlicher zu körpermodifizierenden Maßnahmen empfohlen. Die Beteiligung klinischer Expert*innen an der Erstellung dieser Empfehlungen ist hierbei nicht gegeben oder zumindest nicht transparent bzw. fraglich …. Für die Erstellung dieser S2k-Leitlinie wurden von den beteiligten Fachorganisationen zu einem großen Teil Expert*innen mit langjähriger Erfahrung in Entwicklungs- und Behandlungsverläufen junger Patient*innen mit Geschlechtsinkongruenz delegiert.“
Auch ist von Best Practice die Rede, jedoch bleibt fragwürdig, ob Best Practice bei nicht durchgängiger systematischer Evidenzrecherche, -bewertung und -Verknüpfung kompensiert werden kann durch die häufig erwähnte Praxis-Expertise der Kommissionsmitglieder und der auf Seite 7 der Leitlinie genannten Punkte, die auch als umstrittene Meinungen gelten können [Kommentierung von TTSB in eckigen Klammern]:
„Eine hinreichend sichere Evidenz für die Behandlung ist für Erwachsene belegt" [Pubertätsblockierung beispielsweise gibt es bei Erwachsenen nicht, sollen Minderjährige als kleine Erwachsene behandelt werden?]
„der Wirkmechanismus gilt als erforscht, und eine hinreichende Patientensicherheit bei Kindern und Jugendlichen ist für einen anderen Anwendungsbereich belegt“ [Pubertas praecox ist eine Krankheit vor der Pubertät, die natürliche Pubertät ist keine Krankheit, sie zu stoppen kann zu gesundheitlichen und Entwicklungs-Problemen führen. Hilary Cass erklärte, warum man nicht einfach von der Behandlung zu früh einsetzender Pubertät bei Kindern auf die natürliche Pubertät bei körperlich gesunden Teenagern extrapolieren könne"}]
„eine vertretbare und bewährte Behandlungsalternative ist nicht verfügbar“ [Dazu gibt es auch andere Meinungen (Ayad, D'Angelo, u. a.) vor allem aber gibt es begründete alternative Versorgungsmodelle in einigen europäischen Ländern.] (s. Punkt 7)]
„eine [gender-affirmative] Nicht-Behandlung ist ethisch nicht zu vertreten“ [Ohne Medikalisierung zeigt Mehrheit der Kinder und Jugendlichen im Erwachsenenalter keine Genderdysphorie mehr.2]
Als Basis wie die Fachleute bereits bei Teenagern zwischen der Unzufriedenheit mit dem Gender/Geschlecht und einer stabilen und anhaltenden Genderdysphorie (in der Leitlinie als „diagnostisch gesicherte persistierende Geschlechtsinkongruenz im Jugendalter“ bezeichnet (S. 179)) unterscheiden können, werden die Kriterien der WHO-ICD-11 (2022) und alternativ die des DSM-5 (2013) genannt. Derartige Kriterien, die im Übrigen auch teilweise auf regressiven Geschlechtsstereotypen und gender-non-konformem Verhalten basieren, können zwar erst nach Einsetzen der Pubertät auf der Basis der subjektiven Äußerungen des Teenagers und seiner Eltern für eine Diagnose verwendet werden. Sie beziehen sich aber nur auf die vergangenen 6 Monate und sind nicht geeignet für eine zuverlässige Prognose der Persistenz in der Zukunft, sodass Zweifel an der Sicherheit und Praktikabilität der Empfehlungen medizinischer Maßnahmen bestehen bleiben.
Es bestehen Interessenkonflikte dahingehend, dass etliche Mitglieder der Leitlinienkommission ihre (Funktions-)Stellen in großen Gender-Kliniken, Trans-Gender-Health-Centren haben und/oder Mitglied bzw. Funktionsträger von Berufsorganisationen (wie WPATH, EPATH) sind, dass sie von der Pharmaindustrie indirekt über die Uni gesponsorte Stiftungsprofessuren innehaben oder -hatten und/oder stark transaktivistisch engagiert sind.
Die S2k-Leitlinie enthält keine Alternative(n) zur gender-affirmativen Versorgung (med. Transition) von genderdysphorischen Jugendlichen. Im LL-Kapitel 6.2 Pubertätsblocker ist von „Ermangelung einer ethisch vertretbaren und ebenbürtig wirksamen Behandlungsalternative“ die Rede. Lediglich bei bereits weitgehend abgeschlossener Pubertätsentwicklung wird alternativ zu Pubertätsblockern für biologische Mädchen die Pille im Langzeitzyklus zur Verhinderung der Periode genannt, für biologische Jungen die Behandlung mit Antiandrogenen (Kapitel 3). Psychotherapie dagegen ist nur bedarfsweise als Begleittherapie der medizinischen Transition vorgesehen oben.
Nahezu sämtliche ethischen und rechtlichen Überlegungen zur Einwilligungsfähigkeit von Jugendlichen beziehen sich auf eine einzige Quelle von Gutmann, T. (2023), die zudem unveröffentlicht ist. Somit sind die Interpretationen der Zitate und der Zusammenhang, in dem sie stehen, nicht nachvollziehbar. Das ist für eine Leitlinie weder angemessen noch professionell. Eine weitere Quelle ist die sog. Ad-hoc-Empfehlung zu Trans-Identität von Jugendlichen (1 Seite) des Dt. Ethikrates von 2020. Darin werden die deutlich konträren Positionen unter Fachleuten genannt und als „überaus komplexe und verantwortungsvolle Aufgabe“ gewürdigt. Der Deutsche Ethikrat formulierte aber keine klärende Position, medizinethische Bewertung oder Empfehlung, d. h. ob und unter welchen Gegebenheiten die Behandlung mit Pubertätsblockern oder die Unterlassung dieser Behandlung nun als Schaden vermieden werden sollte oder eine angemessene Vorgehensweise sein könnte. Stattdessen hat er auf die „einzelfallbezogene Nutzen-Risiko-Abwägung“ zurückverwiesen, was nicht unbedingt hilfreich für die Triade von Arzt-Eltern-Teenagern ist (welche Schäden jeweils gemeint sind, bleibt dabei unklar). Was können die Beteiligten beispielsweise mit dieser Aussage des Ethikrates anfangen?
„Die ethische Herausforderung besteht darin, Minderjährige auf dem Weg zu einer eigenen geschlechtlichen Identität zu unterstützen und zugleich vor – teils irreversiblen – Schäden zu bewahren."
In der Leitlinie werden einseitig stets genau die Passagen des Ethikrat-Papiers zitiert, die die affirmative Behandlung und das Recht auf Selbstbestimmung der Behandelten bezüglich ihrer geschlechtlichen Identität (die im Übrigen nirgends definiert ist) unterstützen.
Nichtschaden wird von der Leitlinien-Kommission nach unserer Auffassung in geradezu missbräuchlicher Weise definiert: Es sei ein Nichtschaden, wenn Teenager drastische medizinische Maßnahmen erhalten, die Körpermodifikationen entsprechend ihrer Genderidentität bewirken, auch wenn sie dadurch infertil, krank, lebenslang behandlungsbedürftig werden und wenn sich ihre Lebenserwartung verkürzt.
Durch die Konsensbasierung, die Alternativlosigkeit zu den Empfehlungen der medizinischen Transition, aber auch die mehrfach kritisierte einseitige Zusammensetzung der Leitlinien-Kommission (für S2k wäre ein repräsentatives Gremium erforderlich gewesen Grafik AWMF Punkt 4 ↑) liegt es nahe, darüber nachzudenken, ob die in der Leitlinie für D-A-CH empfohlene gender-affirmierende Behandlung nicht eher einer ideologiebasierten Medizin ohne gesicherte Evidenzbasis entspringt als sie einer sachgerechten wissenschaftlichen Vorgehensweise entspricht, die sonst üblicherweise im Gesundheitswesen verfolgt wird.
Die Leitlinie nennt etliche kritische Punkte und Erkenntnisse aus systematischen Reviews, sie würdigt sie aber nicht dahingehend, dass ihre Empfehlungen entsprechend angepasst worden wären oder angemessen zur Vorsicht gemahnt würde.
So werden negative Effekte der Pubertätsblockade wie Probleme mit der Knochendichte und Auswirkungen auf die neurokognitive Entwicklung zwar angesprochen, sie werden aber trotz schlechter Evidenzlage als hinnehmbar und beherrschbar dargestellt, angesichts der „gesicherten persistierenden Geschlechtsinkongruenz mit geschlechtsdysphorischem Leidensdruck“. SEGM:
„Overall, PBs are viewed as a fully reversible and likely beneficial intervention with likely minimal risks, which can be further mitigated by limiting the duration of puberty blockade. Fertility counseling appears to be recommended. The treatment is available to teens who identify as non-binary."
Für den Einsatz von Pubertätsblockern reicht der Leitlinien-Kommission bereits die sog. „antizipierte Angst“ hinsichtlich erwartender pubertärer Körperveränderungen, eine DSM-5-Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ und psychosoziale Beeinträchtigungen sind dafür nicht unbedingt erforderlich.
Professor Zepf (Jena) spricht in einem Zeit-Interview die entwicklungspsychologischen Aspekte bei Jugendlichen an, die sich erst in der Pubertät als transident definieren, ohne entsprechende Vorlaufgeschichte in der Kindheit:
„Wenn die Wissenschaft eines weiß, dann dass die Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen im Verlauf ihrer Entwicklung höchst veränderbar und von verschiedenen Faktoren beeinflussbar ist.”
Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski (nicht Mitglied der Leitlinienkommission) kritisiert, dass die Wirkungen und Nebenwirkungen von Pubertätsblockern in der S2k-Leitlinie vernachlässigt werden und hält das Argument des „Zeitkaufens“ für unlogisch:
„Wenn ich die körperliche und psychosexuelle Entwicklung einer 12-Jährigen stoppe, dabei aber alle ihre Schulfreunde sich zu 14-, 15-, 16-Jährigen entwickeln, bringe ich die Jugendliche nicht in eine neutralere Ausgangssituation, damit sie eine bessere Entscheidung treffen kann. Damit kann ich im Gegenteil wieder ganz neue seelische Zwangslagen erzeugen.“ (NZZ)
Mittlerweile liegen viele systematische Überprüfungen vor
Julia Mason, eine amerikanische Kinderärztin und AAP- und SEGM-Mitglied, betont im BMJ (23.05.2024), dass es genug qualitativ hochwertige Reviews gibt, die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind und auf deren Basis fundierte Empfehlungen formuliert werden können.
„The time has passed for yet another systematic review. [Since 2020] we now have a dozen high quality reviews (8 Cass, 2 NICE, 1 Swedish, 1 German) all pointing to significant issues with the purely affirmative model of care. There is no evidence that giving puberty blockers followed by hormones and surgery is lifesaving care, and there is mounting evidence that the harms might outweigh the advantages."
Was ist die Konsequenz der 'Einbahnstraße' für unsere Teenager?
Wenn die affirmativ-medizinische Interventionsbehandlung die Standard-Behandlung ist und es nicht möglich ist, verschiedene Optionen zur Bewältigung oder zum Verständnis der Dysphorie zu haben und auszuschöpfen, dann ist es auch nicht verwunderlich, dass unsere Teenager so hartnäckig diese medizinischen Maßnahmen anstreben.
Anastassis Spiliadis, Psychotherapeut u. a. im Tavistock GIDS, versucht, sich in die Situation von genderdysphorischen Teenagern hineinzuversetzen, die nur die Wahl zwischen der medizinischen Transition oder keiner Behandlung haben:
„Who could tolerate going away when they’re so distressed? I wouldn't do it. I would take up the offer of something, even if it was just medication." (Time to Think, 2023)
Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich unsere Teenager in vielen Fällen anders an ihre Kindheit erinnern als wir Mütter und Väter, weil sie glauben, dann von den ExpertInnen eher bestätigt zu werden und die gewünschte körper-medizinische Behandlung zu bekommen.
Zwei an der Leitlinien-Kommission beteiligte Fachgesellschaften haben die S2k-Leitlinie insgesamt nicht konsentiert (DGU, DGSMP), eine dritte, die DGPPN, hat nur teilweise konsentiert, die Schweiz (SGKJPP) zögert noch und überlegt, eine eigene Leitlinie zu entwickeln. Im DGPPN-Sondervotum zur Präambel heißt es:
„Aus Sicht der DGPPN bedarf diese Präambel in einigen Punkten der Kommentierung und ist in der Summe der Feststellungen abzulehnen, weil einige unausgewogen sind, wichtige Aspekte fehlen und die Präambel insgesamt der unvoreingenommenen wissenschaftlichen Bewertung der Evidenzlage a priori unangemessene moralische Grenzen setzen." Es folgen ausführliche Anmerkungen in 7 Punkten, abschließend: „Es sollte aus Sicht der DGPPN thematisiert werden, wie komplex und auch umstritten der diagnostische Prozess ist, der medizinischen Maßnahmen von der Tragweite, wie sie in dieser Leitlinie zum Teil vorgeschlagen werden, vorausgehen muss, um überhaupt erst die Indikationsgrundlage und damit auch die notwendige Legitimation für die Eingriffe zu begründen. Stattdessen wird schon in der Präambel zur Leitlinie, bevor irgendwelche wissenschaftliche Evidenz gewichtet und bewertet wurde, ein primär affirmativer Ansatz gewählt, der Wunsch und Wille der Beratung bzw. Behandlung suchenden Person zum einzigen relevanten Maßstab macht. (S. 353-357, Markierung hinzugefügt)".
In der veröffentlichten Fassung der Leitlinie bzw. des Leitlinien-Reports sind die Meinungsverschiedenheiten sehr deutlich und konnten nur teilweise ausgeräumt werden, z. B. im Anhang F (S. 74–119 - besonders lesenswert) und im Anhang G: Kommentierung der Kommentierung der Einwände von 14 Professoren für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie. Zusätzlich mussten in der S2k-Leitlinie etliche Sondervoten (alleine mehr als 3 Dutzend von der DGPPN) dokumentiert werden. Das führt dazu, dass die oft ohnehin mehrdeutig formulierten Empfehlungen noch beliebiger und deren Umsetzbarkeit bzw. Vorgehensweisen für die Praxis bzw. eine Orientierung für Betroffene und deren Eltern deutlich uneindeutiger werden.
Bei den Sondervoten handelt es sich beispielsweise um Bedingungen, die hinzugefügt oder gestrichen werden, um andere Empfehlungsgrade wie „soll/sollen“ (starke Empfehlung) statt „sollte/sollten“ (Empfehlung) sowie „kann/können“ (Empfehlung offen). Durch die vielfältige Kritik des Leitlinienentwurfs vom März 2024 wurden einige Empfehlungen etwas vorsichtiger formuliert (insbesondere hinsichtlich nicht binärer Personen). Die grundsätzlichen Tendenzen zur gender-affirmativen Behandlung und Versorgung (bis zu irreversiblen Operationen), die auch zu ernsthaften Schäden führen können, bleiben jedoch erhalten.
Einige Beispiele für Sondervoten zu ausgewählten Empfehlungen:
„V.K4. Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz bzw. Geschlechtsdysphorie, die eine soziale Transition begonnen haben oder diese anstreben, kann eine psychotherapeutische Prozessbegleitung zur Vorbereitung einzelner Entscheidungen und zur Reflexion der hiermit einhergehenden Erfahrungen angeboten werden. (S.134/366)"
Hier lautet das Sondervotum der DGPPN: „sollte“ … angeboten werden. Solche Empfehlungsgrade beeinflussen entscheidend, was tatsächlich angeboten und verfügbar sein wird.
Beispiel auch VII.K11. Familientherapie, wenn kein „Co-Konsens“ zwischen dem Teenager und Eltern besteht: Die Empfehlung lautet „sollte“, die DGPPN votiert für „soll“ (starke Empfehlung). Gleiches, ob bei der IV.K3. Diagnostik „gezielt auf das mögliche Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Depression, Angststörung sowie auf selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität geachtet werden“ „sollte“ oder nach dem DGPPN-Votum „soll“ (starke Empfehlung). Oder ob für IV.K4. behandlungsbedürftige psychische Störungen, die im Kontext einer GI/GD fachgerecht diagnostiziert wurden, eine fachgerechte Behandlung im Rahmen eines Behandlungsplans angeboten werden „sollte“ oder nach dem DGPPN-Votum „soll“ (starke Empfehlung).
Zu der Frage, ob bei „Zeit-/Leidensdruck“ durch die pubertären Körperveränderungen eine Pubertätsblockade aufgrund von „Dringlichkeit” bereits vor der Indikationsstellung erfolgen kann oder nicht, gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, s. VII.K4. Während das DÄVT eine grundlegende inhaltliche Änderung der Empfehlung bewirkt hat und jetzt den zeitnahen Zugang zur Abklärung betont, votieren Organisationen wie BVT, Trakine für die Entwurfsfassung.
Die DGPPN moniert zudem den inflationären und unpassenden Gebrauch von „Ethik“ u. a. statt Evidenz oder Empirie, beispielsweise in Kapitel X (S. 283):
Von der Kommission wurden zudem auffallend oft die ursprünglichen Studien zum Niederländischen Protokoll herangezogen, die von Abbruzzese u. a. (2023) als methodisch fehlerhaft, verzerrt und qualitativ minderwertig beurteilt wurden und deren Kriterien von den meisten der heute vorstelligen genderdysphorischen Jugendlichen nicht erfüllt werden. Die DGPPN votiert hier (S. 168 bzw. 370ff.) sogar für diese Streichung der Aussage zum Wissensstand:
Es gibt aus nicht kontrollierten Verlaufsstudien Hinweise dafür, dass sich bei Patient*innen mit im Jugendalter diagnostizierter persistierender Geschlechtsdysphorie, die im Zusammenhang mit einer sozial unterstützten Transition eine gestufte körpermodifizierende Behandlung erhalten, eine langfristige Verbesserung von Lebensqualität und psychischer Gesundheit im Erwachsenenalter zeigt. Evidenzgrad: niedrig (2 Studien mit unterschiedlichen Kohorten aus dem gleichen Zentrum) Referenzen: (Cohen-Kettenis & van Goozen, 1997; de Vries et al., 2011, 2014)
Die DGPPN begründet ihr Streich-Votum mit 3 systematischen Reviews neueren Datums (2020-24), die „keine generelle positive Nutzen-Risiko-Bewertung für eine hormonelle Pubertätsblockade aussprechen“ und referenziert zwei systematische Reviews von 2024, die für die geschlechtsangleichende Hormontherapie erheblichen Forschungsbedarf konstatieren.
„Leitlinien sind für Ärzt*innen und weitere Anwendende rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung."
Die Frage ist, wie die jeweiligen Gerichte die Haftungsfrage bewerten, wenn es zu Anklagen von Geschädigten durch affirmative Behandler kommt.
Die Beklagten können sich sicherlich nicht alleine auf Leitlinien beziehen. Im Rahmen der Pflicht zur ständigen Fortbildung (Stand der Wissenschaft/Facharztstandard) sollte mittlerweile allgemein bekannt sein, dass andere Länder seit einigen Jahren aufgrund mehrerer systematischer Reviews, Meta-Studien und den Cass-Empfehlungen vorsichtig mit drastischen irreversiblen medizinischen Maßnahmen geworden sind und nicht-invasiven konventionellen Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen als Primärtherapie den Vorzug geben.
„Denn es kommt nicht auf Richtlinien, Leitlinien oder Empfehlungen zum Zeitpunkt der Behandlung, sondern auf den zu diesem Zeitpunkt geltenden „Stand der Wissenschaft” („Facharztstandard") an. Entsprechen die Richt- oder Leitlinien nicht dem Standard, dürfen sie nicht befolgt werden. Deshalb sind 'an die Fortbildungspflicht des Arztes strenge Anforderungen zu stellen und dem praktizierenden Arzt grundsätzlich keine längere Karenzzeit bis zur Aufnahme der wissenschaftlichen Diskussion' zuzubilligen."
Damit eine Leitlinie richtungsweisend sein kann (auch vor Gericht), müsse sie evidenzbasiert sein, eine begrenzte medizinisch-ethische Dimension haben und in einem angemessenen Verfahren erstellt werden. Was damit in Bezug auf das Haftungsrecht gemeint ist, erläutern drei niederländische Experten:
Die Leitlinien-Kommission vertritt die Auffassung, dass es für genderdysphorische Jugendliche keine Alternativen zur medizinischen Transition gibt. Das können Eltern allerdings nicht nachvollziehen, da andere europäische Länder sehr wohl Alternativen praktizieren.
Grundsätzlich begründet die fehlende Aufklärung über Behandlungsalternativen Schadenersatz. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm stellt ausdrücklich klar, dass vor medizinischen Behandlungen auch über Alternativen informiert werden muss.
Weder die fehlende Evidenz für die medizinische Transition Minderjähriger noch Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit von Teenagern, aber auch deren Eltern (wer kann schon in die Zukunft schauen?) hält die Leitlinien-Kommission für problematisch. Das sind im Bereich der Medizin sehr unübliche Vorgänge, die die Frage aufkommen lassen, wieweit sich die Empfehlungen schon von der Medizin entfernt haben. Prof. Dr. Florian Zepf stellt in der WELT die Frage:
„Wie können alle Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie ihr informiertes Einverständnis zu einem körperlichen Eingriff oder zu einer nicht mehr vollständig umkehrbaren medizinischen Intervention wie der Pubertätsblockade oder der Hormongabe geben, wenn nicht einmal sicher feststeht, dass ihr dringlicher Wunsch einer Verbesserung der Geschlechtsdysphorie oder der psychischen Gesundheit sicher eintritt?“
Eine Schlüsselfrage für Kunstfehler-Prozesse ist, inwieweit die BehandlerInnen für die Feststellung der medizinischen Notwendigkeit der von ihnen durchgeführten Eingriffe verantwortlich sind.
Bei Chirurgen ist die Begründungspflicht einer „medizinischen Notwendigkeit“ besonders heikel, weil es um die irreversible Entfernung gesunder Körperteile geht, teilweise geradezu eine Art Widerspruch in sich. Auch dass Genderinkongruenz nicht mehr als Krankheit gilt, macht eine entsprechende „Indikation“ bzw. Begründung mit „medizinischer Notwendigkeit“ nicht einfacher. Hinzu kommt das Problem, wie sich die irreversible Entfernung gesunder Körperteile angesichts unzureichender und nicht schlüssiger Evidenz rechtfertigen lässt.
Allzu gerne und auch hierzulande sehr verbreitet werden sog. multidisziplinäre Teams gebildet und als Kompetenz- und Qualitätsmaßnahme propagiert. Im Grunde geht es aber auch darum, dass innerhalb des Teams jeder Experte / jede Expertin nur eine Teilverantwortung hat. Diese Verantwortungsverflechtung ermöglicht zudem, teilweise zu verschleiern, wer zu welchem Zeitpunkt wirklich verantwortlich ist bzw. war und warum.
Bestes Beispiel für so ein „Verantwortungsverflechtungsproblem" waren die 12 Jugendlichen, bei denen 2021 in Schweden schmerzhafte Knochenschäden durch Pubertätsblocker festgestellt wurden. Die Investigativ-JournalistInnen des Films 'The Trans-Train Part 4' konnten die Verantwortungsverflechtung des multidisziplinären Behandlungsteams nicht dahingehend auflösen, dass feststellbar gewesen wäre, wer für die Knochenprobleme von Leo und den anderen Teenagern wirklich verantwortlich war.
Die Verantwortung für die Schädigung der Jugendlichen wird zwischen den beteiligten Abteilungen wie Endokrinologie, psychiatrische Pädiatrie und Management hin und her geschoben. Am 17.03.2022 hat SVT veröffentlicht, dass sich das Krankenhaus im Fall Leo selbst angezeigt hat. Es wurde auf die schwache Evidenzlage verwiesen und auf die Verteilung der Zuständigkeiten, die die Diagnose und Überwachung von Nebenwirkungen erschweren. Diese Rahmenbedingungen waren allerdings seit vielen Jahren bekannt und genau so geregelt.
Prof. Dr. Annette Richter-Unruh, Endokrinologin und ebenfalls Mitglied der S2k-Leitlinien-Kommission, behandelt konstant rund 700 Jugendliche mit Pubertätsblockern und Cross-Sex-Hormonen. Auch bei diesen drastischen – teilweise irreversiblen – medizinischen Behandlungen stellt sich die Frage der Verantwortung. Obwohl sie als „Letztverantwortliche“ für die Verordnung dieser Medikamente nicht immer von deren Transsexualität überzeugt ist, sagt sie in einem Interview:
"Mittlerweile denke ich aber, dass auch ein gewisser Hype hinzukommt: Zu uns kommen weibliche Jugendliche, die Probleme mit sich, Gott und der Welt haben, sie fühlen sich nicht richtig bei den Mädchen aufgehoben, sie haben Angststörungen, sie ritzen sich, sie haben Depressionen, und dann finden sie im Internet den Begriff Transgender. …
Bei etwa der Hälfte der Jugendlichen bin ich von ihrer Transidentität nicht überzeugt, aber ich maße mir nicht an, dies zu beurteilen. Die Diagnose einer Transidentität stellt ein Kinder- und Jugendpsychiater oder ein Psychologe."
Auch Prof. Dr. Rieger (Plastischer Chirurg, Frankfurt) verweist bei der Frage, ob sog. Transgender-Operationen im Einzelfall nötig, sinnvoll, gerechtfertigt sind, auf die psychologischen bzw. psychiatrischen Gutachten, die vorgelegt werden müssten:
„Ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss."
Mit der ärztlichen „Letztverantwortung” scheint es hier nicht weit her zu sein.
Es soll noch eine Kurzfassung der S2k-Leitlinie veröffentlicht werden.
Die S2k-Leitlinie ist gültig bis zum September 2029.
Es gibt Überlegungen, eine integrierteS3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung“ für alle Altersgruppen zu entwickeln.
2019 wurde für D-A-CH eine neue Leitlinie „Geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen bei Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie“ Reg.Nr. 043–052 begonnen. Auch für diese Leitlinie wird offensichtlich lediglich das S2k-Level S3 angestrebt. In der Ankündigung bei der AWMF ist nicht erkennbar, ob Minderjährige ein- oder ausgeschlossen sind.
1Born-that-way – die umstrittene, aber bequeme Annahme
Als Jack Turban, einer der führenden amerikanischen Pro-Trans-Psychiater, 2021 (versehentlich?) twitterte, Gender sei kein einfach fixes binäres Identitätskonstrukt, wurde er direkt gefragt: „Warum zum Teufel schneiden wir dann Kinder auf, Jack?“ Turban löschte daraufhin sofort seinen Tweet.
2Genderdysphorie verschwindet bis zum frühen Erwachsenenalter
Eine niederländische Studie von 2024 konnte zeigen, dass die Mehrheit der Teenager, die den Wunsch äußerten, ein anderes Gender/Geschlecht zu sein, diesen Wunsch im frühen Erwachsenenalter nicht mehr verfolgte.
Kritische Frage zur Gender-Affirmation von Az Hakeem
Az Hakeem, britischer Psychiater, fragte Ende Oktober 2023 in London auf einer Konferenz:
„Wenn es illegal sein sollte, Kinder zu fragen, warum sie glauben, dass sie im falschen Körper sind, dann sollte es doch sicher auch illegal sein, Kindern [Körper-]Teile abzuschneiden?“ s. twitter