S2k-Leitlinie: Es bleibt bei Pest und Cholera

Die S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung wurde am 07.03.2025 veröffentlicht. Wie angekündigt, zementiert sie den Affirmation-Only-Trend für D-A-CH, Alternativen werden nicht diskutiert oder empfohlen. Das fühlt sich für viele betroffene Eltern weiterhin an wie die Misere der Art „Pest oder Cholera“ – sehr bedauerlich.

Der Streit um die Behandlung von ‚Transkindern‘ und ein rätselhaftes Rechtsgutachten, A. Kröning, Die Welt, 14.03.2025 (MSN)

2025 German Guidelines for Diagnosis and Treatment of Gender Incongruence and Gender Dysphoria of Childhood and Adolescence, SEGM, 18.03.2025

Pest

„Pest” bedeutet Affirmation und Transition, zum einen sozial/rechtlich (Namen, Pronomen, Personen­stand), zum anderen medizinisch (Pubertätsblocker, Hormone, chirurgische Körpermodifikation, evtl. Begleit-Psychotherapie). Ab der Pubertät schwinden die Möglichkeiten für affirmativ behandelte genderdysphorische Mädchen und Jungen, sich mit ihrem biologischen Geschlecht/Gender zu arrangieren. Wir haben dies im Beitrag ROGD – Was tun? auf halb ernste Weise beschrieben.

Affirmation wird i. d. R. von der Annahme flankiert, dass die Gender-Identität biologisch ist, d. h. „born-that-way“ bzw. Schicksal ist und sich nicht mehr ändert, wofür allerdings hinreichende wissenschaftliche Belege fehlen1. Affirmative Fachleute sehen Genderdysphorie primär als Ursache und nicht als Symptom für psychische Probleme in der Adoleszenz.

In der Leitlinie wird sogar der Eindruck vermittelt, die Erkundung anderer möglicher Ursachen für GD/GI wie konflikthafte homosexuelle Entwicklung oder Begleitumstände wie Autismus seien ethisch unangemessen (T. Amelung, 08.03.2025).

Kritische Eltern können die gender-affirmative Behandlung nicht nachvollziehen. Sie fürchten, dass ihre Kinder zu früh und zu schnell in ihrer Selbst-Diagnose Trans* bestätigt werden, dass sie unnötig medikalisiert werden, weil sie ganz andere Probleme haben oder beispielsweise mit ihrer Sexualität oder sexuellen Orientierung hadern. Genderdysphorie kann jedoch ein Symptom, eine Identifikations-Schablone und/oder Bewältigungs­mechanismus sein. Eltern haben große Angst, dass ihre Kinder den falschen Weg einschlagen, weil affirmative Behandlerinnen gar nicht wissen wollen, was hinter dem Symptom, der Transidentität, steckt:

„Die Geschlechtsidentität ist eine sub­jektive Einschätzung. Es gibt keine Diagnostik wie eine Blutentnahme oder Ähnliches. Deshalb ist es sehr wichtig, den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, uns ihre Gedanken zu ihrer Geschlechtsidentität mitzuteilen. Wenn wir das nicht infrage stellen, können die jungen Menschen eigene Unsicher­heiten zulassen und ihren Weg finden. Ihre subjektive Einschätzung ist für uns maßgeblich. Dabei ist die Haltung ­wichtig, dass Transsexualität heute nicht mehr als Krankheit gesehen wird, wie man früher noch dachte. Sondern ein subjektives Gefühl. Für uns bedeutet das: Wir prüfen nicht, wir stellen es nicht infrage. Wir schauen nicht, ob es wirklich so ist." Prof. Dr. S. Winter (Charité), FAZ, 2022

Stattdessen bestätigen die ExpertInnen unseren Teenagern „im falschen Körper zu sein“, solidarisieren sich mit ihrer Selbst-Diagnose und sie suggerieren ihnen, dass ihre psychischen Probleme durch die Medikalisierung und Modifizierung des Körpers verschwinden. Obwohl Genderdysphorie/-inkongruenz keine physische Krankheit ist und nicht sicher prognostiziert werden kann, ob es sich um ein manifestes Phänomen handelt, bieten sie ihre psychologischen Indikationsschreiben und drastische medizinische Dienstleistungen an. Eltern fürchten, dass ihre Kinder sich ‚freiwillig‘ gesunde Organe entfernen lassen (deren Entsorgung im Klinikmüll erfolgt), dass körperliche Interventionen ihre Dysphorie nicht „heilt“ und ihnen nicht das erwartete Glück bringen und sie Langzeit-PatientInnen sein werden, die infertil, hormonabhängig und geschädigt eine verkürzte Lebenszeit haben.

Wie überall auf der Welt werden Pubertätsblocker und Hormone in Deutschland im Off-Label-Use, d. h. ohne Zulassung für die Genderdysphorie Minderjähriger angewandt. Auch Operationen, hauptsächlich Mastektomien, aber selbst Genital-Operationen werden hierzulande bei gender­dys­pho­ri­schen Minderjährigen durchgeführt, obwohl es ein Verbot gibt.

Cholera

Gender-Kliniken und gender-affirmative BehandlerInnen kümmern sich leitliniengemäß nur dann um genderdysphorische Teens&Twens, wenn diese den medizinischen Pfad (Pubertätsblocker, Hormone, körpermodifizierende Operationen, Langzeitmedikalisierung) verfolgen. Ansonsten werden sie nicht behandelt, sie sind „draußen“, stehen mit ihrer psychischen Notlage therapeutisch vor einem NICHTS. Alternative Behandlungen außerhalb des affirmativ-medizinischen Pfades sind in der S2k-Leitlinie nicht vorgesehen, da sie für wirkungs- bzw. aussichtslos gehalten werden. In der Leitlinie heißt es, dass es bei einer dauerhaft persistenten Genderinkongruenz mit genderdysphorischem Leidensdruck „keine bewährte wirksame Behandlungsalternative ohne körpermodifizierende medizinische Maßnahmen“ gibt (Seite 2, keine Quellenangabe):

„Es gibt keine ursächliche psychotherapeutische Behandlung der Geschlechtsdysphorie. (S. 112)” weil „diese definitionsgemäß auf einer Geschlechtsinkongruenz beruht, die wiederum eine durch psychosoziale Interventionen nicht beeinflussbare dauerhafte innere Disposition einer Person ist" (S. 137).

Eine vorsichtigere ganzheitliche nicht invasive Behandlung durch insbesondere psychosoziale, psychologische und/oder psychiatrische Maßnahmen, wie sie in einigen europäischen Ländern (die sich von den körper-medizinisch orientierten Ansätzen à la WPATH abgewandt haben) mittlerweile als Primärversorgung angeboten wird, ist für viele genderdysphorische Teens und Twens in D-A-CH kaum erreichbar, da sie hier so gut wie nirgends angeboten wird, wenn Genderdysphorie eine Rolle spielt. Die veröffentlichte Leitlinie schließt diese Möglichkeit nun bedauerlicherweise völlig aus.

Hilary Cass versucht im Cass-Review-Abschlussbericht zu erklären, wie es zur affirmativen Standardbehandlung bei Genderdysphorie von Teenagern kommen konnte:

„14.54 The focus on puberty blockers and beliefs about their efficacy has arguably meant that other treatments (and medications) have not been studied/developed to support this group, doing the children and young people a further disservice.”

Cass stellt im Übrigen auch den frühen Beginn der Medikalisierung insbesondere bei biologischen Mädchen infrage (ROGD – Abwarten kann für ♀ eine gute Option sein):

„14.56 Transgender males masculinise well on testosterone, so there is no obvious benefit of puberty blockers in helping them to ‘pass’ in later life.”

Auffällig ist doch, dass der frühe Beginn mit Pubertätsblockern etc. immer mit den Folgen für trans Mädchen begründet wird (männliche Statur, Behaarung, Stimme), Beispiel ZEIT, Fahrenkrug.

Bei trans Jungen (biologische Mädchen), die allein in Hamburg 90 % derjenigen stellen, die die Gender-Ambulanz aufsuchen, könnte – was die Vermännlichung angeht – auf Nummer sicher gegangen werden, indem frühestens im Erwachsenenalter die medizinische Transition beginnt. Stattdessen werden in Deutschland heute noch die Mädchen genauso behandelt wie früher nach dem alten Niederländischen Protokoll die Jungen, die seit frühester Kindheit genderdysphorisch waren.

Selbstkorrektur?

Obwohl es seit Jahren – auch von Fachleuten – vielseitige Kritik an der S2k-Leitlinie gegeben hat und mittlerweile recht viele systematische Reviews und Meta-Analysen mit geringer Evidenz vorliegen, fand hierzulande bisher keine relevante „Selbstkorrektur“ hinsichtlich Diagnose und Versorgung von genderdysphorischen Jugendlichen statt. Die Aktualisierung der Leitlinie wäre DIE Gelegenheit dazu gewesen.

Beispielsweise wurde in der S2k-Leitlinie die Orientierung an den WPATH-Empfehlungen beibehalten, obgleich die WPATH seit 2024 sehr stark in die Kritik geraten ist und deren Empfehlungen selbst ebenfalls nicht auf gut untersuchter Evidenz und Transparenz beruhen und manipuliert worden waren WPATH-SoC8: Politische Einflussnahme statt Wissenschaft. Nachweislich wurde die Veröffentlichung von beauftragten Evidenz-Reviews von der WPATH unterdrückt, da die Ergebnisse anscheinend die beabsichtigten Empfehlungen nicht absichern konnten.

Auch die im Cass-Abschlussbericht festgestellten „zirkulären Querverweise“ zwischen etlichen internationalen Leitlinien (wie WPATH, AAP, Endocrine Society), die trotz schlechter Evidenz den irreführenden Eindruck eines Konsenses zugunsten des medikalisierenden „gender-affirmativen“ Behandlungsansatzes erwecken, werden in der S2k-Leitlinie ignoriert. Dadurch, dass genau diese Leitlinien (WPATH, AAP, ES) als Referenz für viele konsensbasierte Empfehlungen herangezogen werden, reiht sich die S2k-Leitlinie fast nahtlos in das als „ideologiegeprägt“ und „wenig wissenschaftlich fundiert“ kritisierte Zitier-Kartell ein. Vom Cass-Review wurden nur die Leitlinien aus Finnland und aus Schweden für die Praxis als empfehlenswert beurteilt.

Umgekehrt ist die Bewertung des Cass-Reviews in der S2k-Leitlinie, die anscheinend erst kurz vor Veröffentlichung in die Leitlinie gekommen ist und somit von keiner Fachgesellschaft mehr geprüft wurde, irreführend und hinterlässt wiederum den Eindruck von ideologischer Voreingenommenheit.

S3k-Leitlinienentwurf – Welche Reaktionen und Proteste gibt es? Eine Timeline

GD-Behandlung U18: Wie kam es zur schwedischen „Selbstkorrektur“?

Finnland – Priorisierung von Psychotherapie aufgrund nicht schlüssiger Evidenz

Finnland – Riittakerttu Kaltiala: „Da ist etwas schiefgelaufen!“

Die Kritik von Elternseite

S2k-Leitlinie – DGKJP lässt Eltern im Regen stehen

Offener Brief zur geplanten S2k-Leitlinie GI/GD an Gesundheitsminister Lauterbach, BMG

Streit über die Behandlung von GD-Teenagern

S2k-Leitlinie: Warum lehnen PsychologInnen ROGD-Teenager ab?

S2k-Leitlinie: Ohne Altersgrenzen fehlt jeglicher Minderjährigenschutz

Eltern schlagen Alarm: Die Patientensicherheit unserer Teenager ist gefährdet!

Stoppen Sie die Veröffentlichung der an WPATH-SOC orientierten Leitlinie

Auch der Leitlinien-Entwurf für GD-KiJu zementiert den Affirmation-Only-Trend

„Lebenslange Eingriffe“ – Eltern verlangen Stopp von Behandlungsleitlinie für Trans-Kinder, Die Welt, 15.04.2024

Sind die Cass-Empfehlungen für Deutschland ‚kalter Kaffee‘?

Wer nicht fragt, muss glauben


Weitere Beiträge

Professoren-Kritik am Leitlinienentwurf, Zepf F. u. a., 21.05.2024

The German Guidelines for Diagnosis and Treatment of Gender Incongruence and Gender Dysphoria of Childhood and Adolescence,  SEGM, 20.05.2024

Fehlende Information zu alternativer Behandlung kann ein Schaden sein

Evidenz ist nicht gleich Evidenz

„Nennen Sie es nicht evidenzbasiert“

Affirmation oder Exploration – eine ethische Frage

Transgenderzorg aan kinderen. Juridische bedenkingen bij het Dutch Protocol (2018), NJB, Smeehuijzen u. a., 20.07.2023

Ich möchte kein Arzt oder Psychologe sein, wenn es um das Thema Trans geht, ruhrbarone, Jelinek, 17.03.2025


Referenzen

1Born-that-way – die umstrittene, aber bequeme Annahme

Als Jack Turban, einer der führenden amerikanischen Pro-Trans-Psychiater, 2021 (versehentlich?) twitterte, Gender sei kein einfach fixes binäres Identitätskonstrukt, wurde er direkt gefragt: „Warum zum Teufel schneiden wir dann Kinder auf, Jack?“
Turban löschte daraufhin sofort seinen Tweet.

2Genderdysphorie verschwindet bis zum frühen Erwachsenenalter

Eine niederländische Studie von 2024 konnte zeigen, dass die Mehrheit der Teenager, die den Wunsch äußerten, ein anderes Gender/Geschlecht zu sein, diesen Wunsch im frühen Erwachsenenalter nicht mehr verfolgte.

Der Wunsch, ein anderes Gender/Geschlecht zu sein, ist oft vorübergehend

 


Kritische Frage zur Gender-Affirmation von Az Hakeem

Az Hakeem, britischer Psychiater, fragte Ende Oktober 2023 in London auf einer Konferenz:


Pressespiegel

Pubertätsblocker: Viele Länder rudern zurück, deutsche und Schweizer Ärzte verschreiben sie weiterhin, NZZ, Blage, 22.03.2025

Eine neue medizinische Leitlinie soll Standards setzen in der Behandlung von «Transkindern». Doch weil ihr die wissenschaftliche Grundlage fehlt, droht ein ethisches Dilemma, NZZ, Blage, 23.03.2025

Das Trans-Dilemma, hpd, F. Schwarz, 21.03.2025

No Evidence and an Illusory Consensus in Germany, D.  Allison, 18.03.2025

Ich möchte kein Arzt oder Psychologe sein, wenn es um das Thema Trans geht, ruhrbarone, A. Jelinek, 17.03.2025

Der Streit um die Behandlung von ‚Transkindern‘ und ein rätselhaftes Rechtsgutachten, Welt, A. Kröning, 15.03.2025

Outlier, A new German treatment guideline spurns Europe’s shift to caution on paediatric gender medicineOutlier, B. Lane, 13.03.2025

Sie wurden gewarnt: Die neue Transleitlinie in Deutschland kann jungen Menschen schaden, queernations, F. Zepf, 14.03.2025

Die neue Transkinder-Leitlinie ist da – das Ergebnis ist ein Skandal, T. Amelung, 08.03.2025