„Trans*"-Diagnosen: 8-facher Anstieg, aber oft vorübergehend

Erstmals wurden die Diagnosen F64.x anhand der bundesweiten Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland ausgewertet. Für dieses Projekt kooperierten die KlinikerInnen für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am UK Ulm, das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Berlin und die Universität Oldenburg.

Für den Zeitraum von 2013 bis 2022 bestätigt sich der international bekannte Trend auch hierzulande. Es wurde ein Anstieg der Prävalenz von F64-Diagnosen um das 8-fache über einen Zeitraum von 10 Jahren bei gesetzlich Versicherten im Alter von 5–24 Jahren festgestellt. Außerdem wurden die zeitliche Stabilität und die psychiatrischen Komorbiditäten ermittelt.

Störungen der Geschlechtsidentität bei jungen Menschen in Deutschland: Häufigkeit und Trends 2013-22, eine Analyse bundesweiter Routinedaten, Dt. Ärzteblatt, C. Bachmann u. a., 31.05.2024

15-19jährige ♀ Teenager am stärksten betroffen

Die Zahl der 15-19jährigen ♀ Jugendlichen mit einer F64.x-Diagnose war in nahezu allen Jahren (2013-2022) am höchsten und lag 2022 bei 452,6 pro 100.000 gesetzlich Versicherten.

 

In der Zeit wurden am 21.06.2024 zum fast 8-fachen Anstieg aus der Bachmann-Studie genauere Zahlen zitiert:

Im Jahr 2013 hatten 3.069 von 13.646.334 gesetzlich Versicherten im Alter von 5 bis 24 Jahren die Diagnose "Störung der Geschlechtsidentität", im Jahr 2022 waren es 24.624 von 14.011.415 Versicherten.

SEGM hat von den Studien-Autoren detailliertere Informationen erhalten. Danach nahmen die genderbezogenen Diagnosen bei älteren Jugendlichen (15-19 J.) um das 11-fache und bei jungen Erwachsenen (20-24 J.) um das 7-fache zu. Die hohe Dynamik bei jungen Erwachsenen bestätigt unsere Erfahrungen, die nun durch diese Zahlen belegt werden. Diese „Kohorte” erfordert insbesondere Aufmerksamkeit zu Fragen der diagnostischen Stabilität der Trans-Diagnose in diesem Alter und zu den Möglichkeiten, der Angemessenheit und den Risiken als Volljährige schnell und unkompliziert medizinisch zu transitionieren.

The Gender Dysphoria Diagnosis in Young People Has a 'Low Diagnostic Stability,' Finds a New German Study, SEGM, 19.07.2024

Psychiatrische Begleit-Diagnosen in hohem Maß

2022 in Deutschland72,4 % aller im Jahr 2022 überprüften Personen hatten zusätzlich zu F64.x mind. 1 weitere psychiatrische Diagnose: 67,3 % der ♂ und rund 75,6 % der ♀. Am häufigsten waren

  • depressive Störungen (♂ 49,3 %, ♀ 57,5 %),
  • gefolgt von Angststörungen (♂ 23,5 %, ♀ 34,0 %),
  • emotional instabile Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ (♂ 12,1 %, ♀ 17,6 %),
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper­aktivitäts­störungen (♂ 12,7 %, ♀ 12,6 %) sowie
  • posttraumatische Belastungsstörungen (♂ 9,9 %, ♀ 13,6 %).

F64.x-Diagnose nur bei 27,3 % der 15-19jährigen ♀ ROGD-Teenager von Dauer!

Zur Persistenz der F64.x-Diagnosen wurde - ähnlich wie in der kürzlich veröffentlichten NL-Studie - festgestellt, dass nur bei der Minderheit der Kinder und Teenager, die nach Beginn der Pubertät mit ihrem biologischen Geschlecht haderten, der Wunsch nach Transition für bis zum Erwachsensein fortbesteht. Es handelt sich also überwiegend um Befindlichkeiten, die auch wieder verschwinden können.

„In der Längsschnittkohorte (n = 7 885, 47,1 % 20- bis 24-jährig, 37,7 % männlich) wiesen nach fünf Jahren insgesamt nur noch 36,4 % eine gesicherte F64-Diagnose auf, eine Diagnosepersistenz < 50 % zeigte sich in allen Altersgruppen (27,3 % [15- bis 19-jährige Frauen] bis 49,7 % [20- bis 24-jährige Männer])."

Wie diese Zahlen zu interpretieren sind, sagte der Hauptautor der Studie Prof. Bachmann der Zeit am 21.06.2024:

„Das könne einerseits bedeuten, dass sich das geschlechtliche Erleben nochmals ändert oder auch, dass die ursprüngliche Diagnose von den Therapeuten nicht genau genug gestellt wurde.”

F66-Diagnosen, die sich auf sexuelle Probleme beziehen, wurden von F64-Diagnosen verdrängt

Dem starken Anstieg von genderbezogenen Diagnosen (F64) steht ein Rückgang der Diagnosen zur sexuellen Entwicklung (F66 - "sexuelle Reifungsstörung" bzw. "egodystonische sexuelle Orientierung") in der untersuchten Dekade gegenüber.

„This suggests that conditions that were previously understood as sexual development struggles (F66) may have been reconceptualized as gender-identity related problems (F64), at least in Germany. … This raises important questions about the accuracy of current diagnostic procedures for young people with gender distress, and the possibility that youth who were previously understood as going through developmental struggles related to their emerging sexuality, are currently viewed as 'transgender.'” (SEGM)

Aufgrund dieser Erkenntnis müssten ExpertInnen die klinische Bedeutung der F64-Diagnose dringend überdenken.

Einordnung

Die AutorInnen betonen zu Recht die Stärke dieser Erhebung aufgrund der Vollständigkeit der ambulanten Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten über einen relativ langen Zeitraum. Trotzdem wird von ihnen angemerkt, dass aufgrund fehlender Daten aus psychiatrischen Institutsambulanzen eher von einer Prävalenzunterschätzung auszugehen ist.

Es wurden die Daten von circa 13,4–14,0 Millionen gesetzlich Versicherten im Alter von 5–24 Jahren für die Kalenderjahre 2013–2022 ausgewertet. [Bei der Berechnung der absoluten Zahlen für Deutschland müssten noch geschätzt 10 % hinzu addiert werden, um die Fälle bei Privatversicherten zu berücksichtigen.]

Diese Studie beendet das bisherige totale Informationsvakuum in Deutschland zu ROGD und ermöglicht es, unbelegten Behauptungen endlich einige Fakten entgegenhalten zu können.

Konsequenzen

Wer sich diese Zahlen und Fakten ansieht, muss daraus schließen, dass unsere Teenager viel Zeit und Unterstützung brauchen, um ihre psychischen Probleme zu bewältigen, nicht aber routinemäßig die möglichst frühe medizinische Transition, wie sie in der neuen S2k-Leitlinie als Standard-Behandlung zementiert werden soll.

„The finding of low diagnostic stability of gender identity diagnoses in contemporary youth is consistent with several recent studies showing a high rate of resolution of gender non-contentedness, and significant rates of medical detransition (10-30%). A recent BMJ publication concluded, 'GD [gender dysphoria] is not a permanent diagnosis.'” (SEGM)

Administering irreversible endocrine and surgical interventions based on a diagnosis of such poor diagnostic stability is problematic, given the lifelong, irreversible nature of the "gender-affirming" interventions and their lifetime medical burden. (SEGM)

Einer Krankenkasse war das Thema zu heiß

Die FAZ hat mit einem der StudienautorInnen und Spezialisten für Versorgungsforschung, Prof. Dr. Dr. Christian Bachmann, Kinder- und Jugendpsychiater am Uniklinikum Ulm, gesprochen. Er bestätigte, dass das Thema der medizinischen Transitionsbehandlungen bei Minderjährigen „politisch sehr aufgeladen” sei.

Das öffentliche Klima ist nicht so, dass man hier zu Studien ermutigt wird. So hat zum Beispiel während unserer Studie eine Krankenkasse einen Datenzugang zu Forschungszwecken abgelehnt, da dem Vorstand das Thema ‚zu heißʻ war.“

'Transgender-Diagnosen sind um das Achtfache gestiegen', FAZ, Truscheit, 31.05.2024


Trans* - und wenn ja, wie viele?

Deutschland: 100 % mehr Anträge zur medizinischen Transition


Studie zu den Trans*-Diagnosen U25 jetzt auch auf Englisch

Gender Identity Disorders Among Young People in Germany: Prevalence and Trends, 2013–2022