Fehlende Information zu alternativer Behandlung kann ein Schaden sein

Zu den Aufklärungspflichten vor einer medizinischen Behandlung gehören neben den Risiken grundsätzlich auch Informationen über alternative Behandlungsmöglichkeiten (BGB § 630e).

Fehlende Aufklärung über Behandlungsalternativen begründet Schadenersatz. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm stellt ausdrücklich klar, dass vor medizinischen Behandlungen auch über Alternativen informiert werden muss.

„Kommen für die Behandlung eines Patienten (hier an der Wirbelsäule) sowohl eine operative als auch eine konservative Behandlung in Betracht, ist eine umfassende Aufklärung geboten."

Das Urteil behandelt einen Fall aus anderem Fachgebiet, doch die Klarheit des Urteils und der Leitsätze gelten prinzipiell ebenso für die Behandlung von Genderdysphorie.

Dass es zur gender-affirmativen Versorgung mittels medizinischer Transition (PB, CSH, OPs) von ROGD-Teenagern alternative Behandlungsmöglichkeiten gibt, wird von seiten der Behandelnden, die dem Affirmation-Only-Trend folgen, sicher bestritten. Aufgrund der deterministischen Einschätzung von Genderdysphorie (GD) behaupten sie pauschal und ohne Nachweis, dass Psychotherapie (PT) als alleinige Therapie bei GD wirkungslos sei, s. entsprechenden S2k-Leitlinien-Entwurf (S. 109 Fußnote) oder in diesem Beitrag. Im LL-Entwurf werden keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten diskutiert, PT hat bei den LL-Empfehlungen nur eine untergeordnete Funktion als Begleittherapie.

Die Frage ist, wie deutsche Gerichte diesen Aspekt der Aufklärung über alternative Behandlungen von GD bewerten würden, angesichts der Abkehr vom Affirmation-Only-Trend bei der Behandlung in England und den skandinavischen Ländern aufgrund mehrerer systematischen Reviews und der Cass-Empfehlungen. Dort besteht die standardmäßige Primärtherapie von jugendlicher GD mittlerweile wieder aus der konservativen Behandlung mittlels Psychotherapie und psychosozialer Betreuung sowie ggf. der psychiatrischen Behandlung von zusätzlichen Erkrankungen.

Ein Behandelnder kann sich sicherlich nicht alleine auf Leitlinien beziehen. Im Rahmen der Pflicht zur ständigen Fortbildung (Facharztstandard) sollten die Gründe mittlerweile bekannt sein, warum andere Länder seit wenigen Jahren vorsichtig mit drastischen irreversiblen medizinischen Maßnahmen geworden sind und nicht-invasiven konventionellen Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen als Primärtherapie den Vorzug geben.

RA Prof. Dr. Dr. Ulsenheimer (Medizin- und Haftungsrechtler) erläutert in seinem Beitrag Haftungsrechtliche Bedeutung von Leitlinien :

„Denn es kommt nicht auf Richtlinien, Leitlinien oder Empfehlungen zum Zeitpunkt der Behandlung, sondern auf den zu diesem Zeitpunkt geltenden "Stand der Wissenschaft” („Facharztstandard") an. Entsprechen die Richt- oder Leitlinien nicht dem Standard, dürfen sie nicht befolgt werden. Deshalb sind 'an die Fortbildungspflicht des Arztes strenge Anforderungen zu stellen und dem praktizierenden Arzt grundsätzlich keine längere Karenzzeit bis zur Aufnahme der wissenschaftlichen Diskussion' zuzubilligen."

Mittlerweile gibt es mehrere Studien und systematische Reviews, die Zweifel gegenüber der gender-affirmativen Versorgung, insbesondere der frühen medizinischen Transition haben aufkommen lassen.

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Evidenz ist nicht gleich Evidenz

Wir Eltern von TTSB, aber auch etliche Fachleute, einige Fachgesellschaften sowie die Bundesärztekammer, haben den noch nicht veröffentlichten S2k-Leitlinien-Entwurf zur GD/GI-Behandlung vielfach kritisiert. Wir finden es insbesondere unangemessen, dass kein S3-Level erarbeitet wurde, dass hauptsächlich die Studienlage bis 2020 berücksichtigt ist und dass außer der gender-affirmativen Versorgung keine Alternativen diskutiert wurden.

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GD-Behandlung - Was heißt umfassende Aufklärung?

Um in eine medizische Transitions-Behandlung einwilligen zu können, müssten Behandlungsuchende und - falls minderjährig - auch deren Eltern umfassend informiert sein.

Wenn es um Pubertätsblocker (PB) und gegengeschlechtliche Hormone (CSH) geht, handelt es sich um sog. individuellen Heilversuche bzw. um den sog. Off-Label-Use, da PB für die Blockade der natürlichen Pubertät bzw. CSH zur Transition keine Zulassung haben. Es sind Informationen darüber zu vermitteln, was ein Off-Label-Use ist und welche speziellen Risiken damit verbunden sind. Der G-BA schreibt dazu:

„Eine umfassende gründliche Aufklärung der Patientinnen und Patienten zum möglichen Nutzen und möglichen Risiken des Off-Label-Use, deren Zustimmung zum Einsatz des Medikamentes und eine lückenlose Behandlungsdokumentation durch die Ärztin oder den Arzt sind in jedem Fall unerlässlich.”

Hier einige Aspekte, die bei der Aufklärung bezüglich Transitions-Behandlungen eine wichtige Rolle spielen:

Die möglichen Risiken

Es besteht die Pflicht der Behandler, über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen einer Behandlung umfassend aufzuklären. Dabei ist über typische Risiken, aber auch über nicht ganz außer Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken zu informieren. Besteht für den Eingriff aus medizinischer Sicht keine Dringlichkeit oder überhaupt keine zwingende Indikation, müssen auch wenig wahrscheinliche Risiken mit dem Patienten besprochen werden. Der Behandelnde muss die Gründe und Gegengründe eingehend erläutern.

Gerade bei Genderinkongruenz steht infrage, ob es überhaupt eine „medizinische Notwendigkeit" bzw. „Indikation” geben kann, da es sich laut ICD11 nicht mehr um eine Krankheit handeln soll.

Mittlerweile gibt es lange Listen von Risiken und Nebenwirkungen, die regelmäßig, häufig bis selten bei den verschiedenen medizinischen Transitionsmaßnahmen vorkommen oder eintreten können, viele sind irreversibel. Darüberhinaus sind etliche Risiken nicht erforscht, bekannt oder dokumentiert. Besonders drastische Risiken und Nebenwirkungen bei der medizinischen Transitionsbehandlung Minderjähriger sind

  • Infertilität, Anorgasmie und sexuelle Funktionsstörungen nach früher Behandlung mit Pubertätsblockern und anschließender Behandlung mit CSH
  • Atrophie (einschl. Blutungen und Schmerzen) der Geschlechtsorgane nach mehrjähriger Verabreichung von CSH
  • Probleme mit der Knochenmineralisierung durch Pubertätsblockierung
  • Ungleichgewicht des endokrinen Systems
  • Unterentwickelte ♂ Genitalien (Mini-Penis) bei früher Behandlung mit Pubertätsblockern, verkompliziert eine spätere Neovagina-OP
  • Nerven- und Narbenschmerzen nach Mastektomie, Taubheitsgefühl
  • Mögliche Probleme mit den Penis-Prothesen bei Transmännern nach 10-15 Jahren (nach Aussage von Endokrinologin Richter-Unruh, YT 2022)
  • Hemmung des natürlichen Prozesses der sexuellen Orientierung und Identitätsfindung
  • Haarausfall und Glatzenbildung bei FzM durch Testosteron (bei erblicher Vorbelastung)
  • Transitionierte, die zu Nasenpolypen neigen, müssen sich möglicherweise häufiger operativen Entfernung von Nasenpolypen unterziehen.

  • die Aussicht auf eine lebenslange Abhängigkeit vom Gesundheitssystem
  • ...

Das biologische Geschlecht zählt

Bei off-label eingesetzen Medikamenten finden sich viele Wirkungen und Nebenwirkungen, die bei der GD-Behandlung auftreten können, nicht im Beipackzettel, da diese Medikamente für andere Anwendungsfälle zugelassen sind. Allerdings gibt es diverse Hinweise, die indirekt die GD-Behandlung betreffen, z. B. bei Testosteron heißt es „Darf nicht angewendet werden bei Frauen und Kindern.“ (s. z. B. Beipackzettel Eligard oder Nebido).

Selbstverständlich wissen auch alle gender-affirmativen Versorger, wie beispielsweise Prof. Dr. Romer (Kinder- und Jugendpsychiater) und Prof. Dr. Richter-Unruh (Endokrinologin), dass gegengeschlechtliche Hormone in den zur Transition verabreichten Dosen unphysiologisch sind.

Fakt ist: Der weibliche Körper ist für Testosteron nicht gebaut.“ (Romer, SZ, 2023)

Ich erkläre allen ganz genau, dass der biologisch weibliche Körper nicht für männliche Hormone gemacht ist." (Richter-Unruh, YT, 2022)

Der Benefit der Behandlung

Hier müsste der Behandler aufzeigen, welcher Benefit durch eine Behandlung zu erwarten ist. Dies ist im Falle der medizinischen Transitionsbehandlung schwierig, da die Evidenzlage völlig unzureichend ist und über die Ziele wenig Einigkeit unter den Experten bestehen.

Systematische Untersuchungen in England, Finnland, Schweden und Norwegen haben unabhängig voneinander ergeben, dass die Risiken und Schäden einer „genderbestätigenden Versorgung" den Nutzen deutlich überwiegen und zudem vieles noch unbekannt ist. In England hatte beispielsweise das National Institute for Health and Care Excellence solche systematischen Prüfungen vorgenommen (s. NICE 2020a und 2020b) mit dem Ergebnis, dass die Evidenzbasis als „nicht schlüssig” bezeichnet wurde. Die deutsche Studie Beyond NICE von F. Zepf u. a. hat diese Ergebnisse für die Jahre bis 2023 bestätigt.

Weitere Rahmenbedingungen

► Erfahrung und Wissensstand der Behandler

Die Fachpersonen, ÄrztInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen, die eine Aufklärung durchführen, müssen ausreichende Erfahrung haben, sie müssen auf dem gleichen Wissens- und Erfahrungsstand sein wie die Behandler selbst. In einem Beispiel-Urteil war ein Assistenzarzt weniger als 3 Wochen an der Klinik beschäftigt und hatte noch keinerlei Erfahrungen mit Operationen des entsprechenden Fachgebiets.

OLG Hamm, Urteil Az. 26 U 46/21, 20.12.2022

► Entscheidungsfähigkeit bei U18 und U25

Es bestehen Zweifel, ob vor allem angesichts der unzureichenden Evidenz Minderjährige, die sich in einer Notlage befinden, solch weitreichende Entscheidungen über medizinische Transitionsmaßnahmen, die vor allem ihre Zukunft betreffen, überhaupt treffen können. Ebenso komplex und konfliktbehaftet ist die Situation für deren Eltern, die ggf. als Sorgeberechtigte mitentscheiden sollen.

Es geht bei der Aufklärung zu GD-Behandlungen um Informationen, die Themen behandeln, die angesichts des Alters und Entwicklungsstands von Minderjährigen noch weit jenseits ihres Horizonts liegen. Sind Minderjährige bereits in der Lage, eine gewisse Loyalität gegenüber ihrem zukünftigen Ich zu empfinden? Welche Rolle spielt ihr Recht auf eine offene Zukunft?

Das Recht auf eine Offene Zukunft

Auch bei jungen Erwachsenen wird oft bezweifelt, ob ihre Exekutivfunktionen bereits ausreichend entwickelt sind, um alleine lebensverändernde Entscheidungen zu treffen.

Adoleszenz - Warum wir erst mit 25 richtig erwachsen sind, Die Welt, 2018

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► Dokumentationspflicht

Die Informationen, die im Rahmen der Aufklärung vermittelt werden, sollten immer dokumentiert werden, da die Aufklärung sonst im Steitfall nicht nachweisbar ist. Die Beweislast hinsichtlich der ordnungsgemäßen Aufklärung trägt der Behandler!

Empfehlungen für Eltern von ROGD-Kindern*)

Lassen Sie sich hinsichtlich Ihrer Entscheidung zu medizinischen Maßnahmen niemals unter Druck setzen. Fordern Sie von den Behandlern, dass sie Ihnen alles im Detail erklären. Recherchieren Sie selbst, holen Sie sich eine Zweitmeinung ein. Behalten Sie insbesondere einen klaren Kopf, wenn versucht wird, Sie mit dem „Suizid-Narrativ” emotional zu erpressen.

Wenn Sie für Ihr minderjähriges Kind oder als selbst Betroffene(r)/Geschädigte(r) ein medizinisches Klageverfahren anstreben, sollten Sie immer alle relevanten medizinischen Dokumente (Patientenakte, Dokumentation der medizinischen Behandlung, Befunde, Aufklärungsbögen, Krankenkassen-Auskünfte, etc.) sammeln und ggf. ärztliche Gutachten einholen. Insbesondere Aufklärungsmängel bei Behandlungen, die - auch später - zu Beschwerden führen, können bei Haftungsprozessen relevant sein.

Allein die Tatsache, dass der Patient wegen fehlender oder mangelhafter Aufklärung nicht wirksam in den Eingriff einwilligen konnte, begründet die Haftung des Arztes.

Die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld beträgt in Deutschland nur 3 Jahre ab Kenntnis des Schadens und des Schädigers.

*) Die auf dieser Website bereitgestellten Informationen stellen keine Rechtsberatung dar und sollen keine rechtlichen Fragen oder Probleme behandeln, die im individuellen Fall auftreten können. Die Informationen auf dieser Website sind allgemeiner Natur und dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Wenn Sie rechtlichen Rat für Ihre individuelle Situation benötigen, sollten Sie den Rat von einer/m qualifizierten Anwältin/Anwalt einholen.


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