Keine Ausweitung des GKV-Leistungsanspruchs
Die im Koalitionsvertrag von 2021 beabsichtigte Ausweitung des GKV-Leistungsanspruchs für Menschen mit Genderdysphorie und Genderinkongruenz in Bezug auf medizinische Transitionsmaßnahmen wurde zwar noch Anfang 2024 vom BMG (BM Lauterbach) bekräftigt
Koalitionsvertrag 2021
Der Koalitionsvertrag der Ampel enthielt eine Formulierung des „versorgungspolitischen Willens“:
„Die Kosten für geschlechtsangleichende Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden.“
Koalitionsvertrag 2021, fragdenstaat, S. 119
BSG-Urteil von 2023
In einem Urteil des Bundessozialgerichts war die Übernahme von Kosten einer Mastektomie bei einer sich als non-binär identifizierenden Person durch die Techniker Krankenkasse (TK) abgelehnt worden. Die Auffassung der TK wurde bestätigt, sie hatte den Kostenübernahmeantrag mit der Begründung abgelehnt, dass bei der non-binären Person kein manifestierter Transsexualismus vorläge und es daher keine Grundlage für eine geschlechtsangleichende Operation gäbe. Die Vorinstanz hatte eine Klage u. a. mit folgender Begründung abgewiesen:
„Ansprüche auf Behandlungsmaßnahmen, die die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale erhöhten, seien ausgeschlossen. Die klagende Person wolle ihren Körper an ihre non-binäre Identität angleichen, für die aus der Sicht eines verständigen Betrachters kein Erscheinungsbild eines phänotypisch angestrebten Geschlechts existiere. … Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen."
Das BSG beurteilte eine Mastektomie bei nonbinärer Identifikation als evtl. neue Behandlungsmethode/Versorgungsform. Auf diese bestehe erst ein Anspruch, wenn der [dafür zuständige] Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe.
Somit kam der G-BA ins Spiel. Er hat sich nach unseren Recherchen bisher noch nie mit Behandlungsformen bei Genderdysphorie/Genderinkongruenz beschäftigt.
BSG-Urteil B 1 KR 16/22 R, 19.10.2023
G-BA Schreiben an BMG
Prof. Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, schrieb daraufhin BM Prof. Lauterbach, dass er einen gesetzgeberischen Änderungsbedarf zur Sicherstellung der „Versorgung von Versicherten mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie” sehe. Gesetzgebung vermutlich deshalb, weil die vom BSG angesprochene Behandlungs-/Versorgungsform nicht in das konventionelle Schema/Regelungswerk der Gesundheitsversorgung passt. Prof. Hecken schlug vor, falls es zu einem entsprechenden neuen Regelungsansatz kommt, diesen [aus Gründen der Systematik] in einen § 27c SBG V aufzunehmen.
Schreiben von Prof. Hecken an das BMG, BM Prof. Lauterbach, 29.11.2023
Antwort BMG an GBA
BM Lauterbach empfahl in seiner Antwort vorläufig die Beibehaltung der bisherigen Regelungen und bekräftigte die Absicht, neue Regelungen zum „Versorgungsbedarf" von „Versicherten mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie” zu treffen:
„Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich beabsichtige, noch in dieser Legislaturperiode eine Neuregelung vorzulegen, die die Versorgung von Versicherten mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie auf eine neue, eigenständige Grundlage stellt und auch die Behandlung nicht-binärer Personen ermöglich.”
Schreiben Prof. Lauterbach (BMG) an Prof. Hecken (GBA), 18.01.2024
Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes an gesetzliche Krankenkassen
Der GKV-Spitzenverband empfahl schließlich den Krankenkassen, die bisherige Praxis beizubehalten. Er sei der Rechtsauffassung,
„dass bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung eine Ausweitung der Anspruchsberechtigung auf nicht-binäre Personen nicht möglich ist.”
Rundschreiben „Krankenbehandlung im Zusammenhang mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen”, GKV-Spitzenverband, 31.01.2024
Anfang 2025 ist festzuhalten, dass es in der ablaufenden Legislaturperiode nicht zu einer Neuregelung gekommen ist.
Dokumente im Portal FragdenStaat, 2024
Keine Deregulierung bei der medizinischen Versorgung
Zu dem im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben (s. o.) gab es lediglich einen einzigen Vorstoß. Am 19.10.2023 [rein zufällig am selben Tag, an dem auch das o. g. BSG-Urteil gefällt wurde] hat das Bundesministerium für Gesundheit ein erstes Fachgespräch dazu durchgeführt, an dem auch TTSB teilnahm. Seither wurden keine weiteren Aktivitäten des BMG bekannt. Es ist zu vermuten, dass auf die Veröffentlichung gültiger Leitlinien gewartet wurde, die seit Jahren ausstehen und die bis heute nicht veröffentlicht sind, weder für
Die Ziele der ProTrans-Lobby wurden auch in dem Fachgespräch beim BMG sehr deutlich formuliert: Gefordert wird eine weitgehende Deregulierung der sogenannten Gesundheitsversorgung bei Genderdysphorie/
- „klare Indikation”,
- „medizinischer Notwendigkeit" oder
- „entspricht dem [vorgeblichen] „Stand der Wissenschaft"
andererseits werden „Autonomie” und „Selbstbestimmungsrecht” reklamiert.
Eine Ausweitung der Kostenübernahme durch die GKV würde vermutlich die Pathologisierung der Pubertät unserer genderdysphorischen Teenager verstärken, es würden noch mehr irreversible chirurgische Maßnahmen durchgeführt, die die lebenslange Medikalisierung von immer mehr jungen Menschen nach sich zieht.
Statt sich auf konsensbasierte sog. Best-Practice-Empfehlungen zu verlassen, halten wir es für sinnvoller, die Evidenz medizinischer Transitionsbehandlungen seriös und unabhängig prüfen zu lassen oder international verfügbare systematische Reviews zu studieren, bevor neue gesetzliche Erstattungsregeln formuliert werden.
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