Wie können die Eltern von transidentifizierten Teens & Twens besser unterstützt werden?

Um Erkenntnisse zu dieser Frage zu gewinnen, hat ein französisches AutorInnen-Team, zu dem auch Prof. Céline Masson gehört, Briefe von Eltern ausgewertet, in denen es um die Transidentifikation ihrer Kinder geht. Es wurden die Erfahrungen und Wahrnehmungen analysiert, die Eltern (vorwiegend Mütter) in ihren Briefen bzw. E-Mails niedergeschrieben haben und unaufgefordert an das Observatoire la Petite Sirène (OPS) geschickt haben.

Transidentification in Adolescents and Young Adults: Understanding Parental Concerns to Improve Psychological Support for Families, Clinical Case Report, 25.08.2025 *)

Aus insgesamt 100 Briefen, die zwischen 2019 und 2021 eingegangen sind, wurden 60 ausgewählt, die die Erfahrungen und Sorgen bezüglich der Situation mit transidentifizierten Kindern im Alter von 12-24 Jahren (∅ 17 J.) ausreichend detailliert und kohärent schilderten.

„Our research and our public alerts brought in parents who wanted to ask questions and, above all, bear witness to what was happening to their child. The aim is to better understand the nature of their perceptions and initial reservations regarding their child’s disclosure of transgender identity."

Aufgrund der Ausrichtung des OPS handelt es sich nicht um eine repräsentative Elternschaft. Vielmehr haben die Eltern in ihren Briefen überwiegend ihre Bedenken oder Vorbehalte gegenüber den gender-affirmativen Institutionen und deren üblichen Vorgehensweisen zum Ausdruck gebracht, mit denen sie konfrontiert waren.

Es konnten Einblicke in die Spannungen, Unsicherheiten und sich entwickelnden Erkenntnisse, die die Familiendynamik charakterisieren, gewonnen werden.

„[An} interpretative lens allows us to move beyond a mere thematic description and instead explore how parents navigate conflicting emotions, social discourses, and their own evolving beliefs.“

Die Briefe waren anonymisiert und von den Eltern für die Verwendung in dieser Studie genehmigt worden.

Details:

5 kritische Punkte

Die Analyse der Elternbriefe zeigt eine komplexe Gefühlswelt, die Eltern erleben, wenn ihr Kind eine Transidentifizierung verkündet. Aus den Elternbriefen konnen 5 kritische Punkte ermittelt werden:

Schlussfolgerungen

„Parents reported feelings of ambivalence, isolation, and concerns about the adequacy of clinical support, particularly regarding comprehensive psychological assessments. These insights underscore the need for more nuanced, supportive, and individualized clinical approaches that address both the young person’s and the family’s well-being."

Empfehlungen

Die AutorInnen der Studie empfehlen auf Basis ihrer Analyse und ihrer Experten-Erfahrung:

  1. umfassende individuelle psychotherapeutische Unterstützung, die sowohl das psychische Wohlbefinden des jungen Menschen als auch das der Familie berücksichtigt.
  2. psychotherapeutische Strategien, die der Erforschung und dem Verständnis Vorrang vor einer sofortigen Bestätigung einräumen.

Diese Empfehlungen dienen dazu, den Entwicklungsprozess des Teenagers oder jungen Erwachsenen zu unterstützen. Gleichzeitig wäre dies ein Schutz, die zugrundeliegenden psychologischen Bedürfnisse nicht zu übersehen und voreilige Entscheidungen zu vermeiden.

Hier können Sie die komplette Studie nachlesen:

Transidentification in Adolescents and Young Adults: Understanding Parental Concerns to Improve Psychological Support for Families, Clinical Case Report, 25.08.2025

            

*)    Anmerkung: Aus der Studie kann ausführlich zitiert werden, weil sie Open-Access (CC-BY) veröffentlicht wurde.


Familientherapie - mitgemeint aber nicht explizit genannt

Aufgrund ihrer Analyse empfehlen die Studien-AutorInnen, den Eltern mit ihrem transidentifizierten Teenager oder auch jungen Erwachsenen mehr Verständnis und umfassende Unterstützung zukommen zu lassen. Sehr viel konkreter werden sie nicht. Die Empfehlung umfasst sicherlich auch familientherapeutische Maßnahmen. An dieser Stelle halten wir es für sinnvoll, auf die Option der Familientherapie explizit einzugehen:

Die komplexe Situation nach einem Trans-Coming-out erfordert geradezu die unkomplizierte Bereitstellung von erreichbaren und qualitativ hochwertigen Möglichkeiten zur Familientherapie, die ergebnisoffen und neutral sind. Diese sollten aus unserer Sicht alternativ oder zusätzlich zum Einzeltherapie-Setting und/oder psychosozialen Maßnahmen möglich sein.

Die auftretenden Probleme in der Familie können relativ umfangreich werden, sie betreffen die Familiendynamik, die Beziehungen und die Erziehung, die gemeinsam zu klären sind. Um die häusliche Psychohygiene zu wahren, die Beziehung und die Kommunikation zu stabilisieren, können in einem familientherapeutischen Rahmen gemeinsam mit dem neutral eingestellten und vermittelnden Familientherapeuten Punkte geklärt werden wie

  • Nachdenken über Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Dialogs und der Beziehung
  • Suche nach einem Namen, der für alle akzeptabel ist
  • Umgang mit dem Internet, andere Erziehungsprobleme
  • Kommunikationsmethoden, -möglichkeiten mit dem Ziel, Ansichten, Wünsche und Anforderungen so zu kommunizieren, dass die Gespräche (auch zu Hause) nicht eskalieren.
  • Förderung des gegenseitigen Verständnisses (sowohl Teenager als auch Eltern wird zugestanden eigene Überzeugungen zu haben)
  • Ausräumen von Vorurteilen auf beiden Seiten ("Eltern sind transphob und uninformiert", "Teenager haben kein Interesse an Eltern/Familie oder an ihrer Zukunft")
  • Austausch über Gefühle, Realitäten, Bedenken, Utopien bzw. Fiktionen etc.

Der international renommierte amerikanische Psychiater Prof. Paul McHugh schrieb bereits vor einem Jahrzehnt:

„In fact, gender dysphoria – the official psychiatric term for feeling oneself to be of the opposite sex – belongs in the family of similarly disordered assumptions about the body, such as anorexia nervosa and body dysmorphic disorder.
Its treatment should not be directed at the body as with surgery and hormones any more than one treats obesity-fearing anorexic patients with liposuction. … The treatment should strive to correct the false, problematic nature of the assumption and to resolve the psychological conflicts provoking it. With youngsters, this is best done in family therapy.Transgender Surgery is not the Solution, WSJ, 2016


Möglichkeiten und Grenzen von Psychotherapie

Stella O'Malley reflektiert darüber, wie schwer es für TherapeutInnen im derzeitigen gesellschaftlichen Klima ist, eine ethisch verantwortliche Therapie zu betreiben, wenn das Thema Transidentifikation auftaucht.

Im Idealfall können Therapeuten helfen, eine Krise in neue Erkenntnisse zu transformieren.

The therapist’s duty of care versus client autonomy, Stella O'Malley, 04.11.2025

Auch beim Thema ROGD sollten Psychotherapeuten helfen, die Fragen klären: „Was ist los? Was ist wirklich los?“ Sonst wird es schwierig, Menschen in ethischer Weise weiterzuhelfen. Stella O'Malley zitiert in ihrem Beitrag auch Thomas Sowell:

„When you want to help people, you tell them the truth. When you want to help yourself, you tell them what they want to hear."

O'Malley formuliert den Sinn und Zweck von Psychotherapie so:

„We clinicians need to be able to speak clearly about suffering and mental illness in the right way and at the right time. If we are to provide meaningful therapeutic care we need to be able to speak about the elephant in the room. That is our job.“

Restoring Clinical Clarity: Why We’re Afraid to Say ‘Mental Illness’, S. O'Malley, 07.11.2025

„Bestätigungs"therapeuten gibt es nach unserer Einschätzung genug. Dringend benötigt werden empathische TherapeutInnen mit der Fähigkeit, dieses Gefühl zu kommunizieren, und die in der Lage sind, eine (wie es Stella O'Malley formuliert) „sichere, ethische und effektive Praxis" anzubieten.


Wenn das eigene Kind plötzlich sagt, es sei trans*, ist vieles anders

Bei pittparents dürfen Eltern sich frei über ihre Situation und ihre Gefühle äußern. Zum Abschluss dieses Beitrags hier der „Brief" einer Mutter, die ihren Sohn, der seit der Pubertät eine Tochter werden möchte, unendlich vermisst. Sie schildert die verschiedenen Szenarien, die die Transidentität ihres Kindes bestätigen und aufrechterhalten.

Return of the Tiger Moms (and Dads), pittparents, 07.11.2025translate 6641970 inspire studio pixabay kl


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