NL - Debatte zur Transition von Teens &Twens entwickelt Dynamik
Auch in den Niederlanden hat die Zahl junger Menschen, insbesondere ♀, die transitionieren wollen, erheblich zugenommen. Anscheinend wurde erst kürzlich realisiert, dass mehr als 2.000 junge Menschen auf den Wartelisten der wenigen Gender-Kliniken stehen und Wartezeiten von über 2 Jahren entstanden sind. Im Vergleich zur internationalen Diskussion gab es im Land der Erfindung des „Dutch Protocols" lange keine Debatte über die Qualität der Behandlung. Seit einem Jahr treten nun auch in den NL Detransitionierte in den Medien in Erscheinung. Speziell aufgrund von 3 aktuellen Ereignissen kommt jetzt zunehmend Dynamik auf:
Darüber hinaus gibt es seit Ende Januar 2 Prüfungs-Anträge im Niederländischen Parlament:
Probe the protocol - Calls for a rethink in the country that launched puberty blockers on the world, B. Lane, 06.02.2024
How the Dutch experiment with puberty blockers turned toxic, telegraph, 04.03.2024
In den Niederlanden werden immer mehr Bedenken geäußert, die - analog zu den nordischen Ländern, England, zum Teil auch Frankreich, Italien, Australien und Neuseeland, USA - zu einer Neubewertung der pädiatrischen Gender-Medizin führen könnten.
Finnland, Schweden und England haben vor einiger Zeit systematische Übersichten über die Evidenzlage (dem Goldstandard der evidenzbasierten Medizin) durchgeführt. Mittlerweile haben einige nordische Länder wie Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark sowie das Vereinigte Königreich die Standard-Versorgung von Transgender-Jugendlichen geändert. Aus Gründen der Vorsicht werden z. B. Pubertätsblocker (PB) als „experimentelle Behandlung” nur noch in speziell definierten Fällen angewendet. Sie präferieren jetzt Psychotherapie, psychosoziale und ggf. psychiatrische Unterstützung als erste Maßnahmen.
Die Debatte in den Niederlanden ist unweigerlich für alle Länder von unmittelbarer Bedeutung, die sich bei der GD-Versorgung noch immer an den WPATH-Empfehlungen orientieren und auf das „Niederländische Protokoll" referenzieren.
1. Niederländische TV-Dokumentation: Das Transgender-Protokoll
Am 26.10.2023 lief auf dem öffentlich-rechtlichen Kanal der Niederlande Zembla BNNVARA / NPO2 (progressiv liberal) die Dokumentation "Het Transgenderprotokoll".
In Teil 1 (Teil 1 mit engl. U-Titeln) geht es um die wissenschaftlichen Grundlagen, die die Basis des Niederländischen protokoll bilden. Es geht um folgende Punkte:
- Die Transitions-Behandlungen sind nachvollziehbar hochgradig invasiv, mit irreversiblen, lebenslangen Folgen
- Detransitionierte wurden falsch-positiv bewertet und leiden nun an irreversiblen Körpermodifikationen
- Die internationale Experten-Kritik
- Die niederländische Kritik (s. u. „Niederländische Profs kritisieren ‚NL Protokoll‘")
- Die unzureichende Debatte
Unter anderen kommen die Kinder- und Jugendpsychiaterin Annelou de Vries als eine der Studienautorinnen des Dutch Protokols zu Wort sowie die finnische Professorin für Psychiatrie Riittakerttu Kaltiala, ihre schwedischen KollegInnen Mikael Landén und Angela Sämfjord sowie die britische Journalistin
De Vries ist der Meinung, die Verwendung einer Kontrollgruppe wäre unethisch, was von den befragten Methodik-Experten widerlegt wurde. Zudem standen vor Studienbeginn über 200 "BewerberInnen" zur Verfügung, von denen nur 77 ausgewählt wurden, sodass die Bildung einer Kontrollgruppe möglich gewesen wäre.
Außerdem behauptet de Vries, dass mittlerweile international viele zusätzliche Erkenntnisse veröffentlicht worden wären. Professor Landén, der im Auftrag der schwedischen Regierung alle relevanten Studien über Pubertätsblocker überprüft hat und keine Beweise für die positive Wirkung fand, weist diese Aussage allerdings zurück:
„Die Studien in diesem Bereich sind von geringer Qualität und würden in anderen Bereichen nicht als Beweise akzeptiert werden."
In Teil II (Teil II mit engl. U-Titeln) geht es um die Auswirkungen von Pubertätsblockern auf das Gehirn und dass fehlende Forschungsmittel sowie der „Zeitgeist" weitere Forschung dazu verhinderten.
Niederländische Profs kritisieren ‚Niederländisches Protokoll‘
Fünf niederländische ProfessorInnen, darunter 4 Forschungsmethodiker, die auf die Überprüfung komplexer wissenschaftlicher Studien über Behandlungen und Medikamente spezialisiert sind, haben sich im Auftrag von BNNVARA mit dem ‚Niederländischen Protokoll' beschäftigt. Sie bestätigen, dass auch sie es für wissenschaftlich unzureichend halten. Die ProfessorInnen, darunter Gerard van Breukelen (Professor für Methodologie an der Universität Maastricht) sagten, die beiden damals als innovativ geltenden Studien seien keine solide Grundlage für die Durchführung radikaler und nicht umkehrbarer medizinischer Eingriffe an Teenagern und jungen Erwachsenen.
Die Qualität der damaligen Studien leide u. a. unter dem Fehlen einer Kontrollgruppe, der geringen Probandenzahl, der hohen „Ausfallquote” [von einer Teilstudie zur nächsten], der Parallelität von medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung sowie der Tatsache, dass einer der ursprünglich 77 physisch gesunden Transgender-Teenager an den Folgen der Genitaloperation im Amsterdamer Klinikum starb.
Nederlandse experts: bewijs genderbehandeling onvoldoende, 26.10.2023 (engl.)
A major documentary in the Netherlands shakes the foundations of gender medicine, B. Lane, 28.10.2023
Ein weiterer Film von BNNVARA:
Das große Geschäft Transgender. Wie mit dem Leid anderer Geld verdient wird. BNNVARA, dt synchronisiert, November 2023
2. Unsicherheiten bei der aktuellen Behandlung von Genderdysphorie
Jilles Smids (Ethik-Experte) und Patrik Vankrunkelsven (Professors für Allgemeinmedizin) begründen in einem Beitrag einer Zeitschrift für Gesundheit, warum das Niederländische Protokoll die Behandlung von GD-Jugendlichen nicht so gut absichert, wie es scheint. An entscheidenden Stellen sei die Darstellung des wissenschaftlichen Standes und der internationalen Diskussion zur GD-Behandlung unvollständig. Die Experten diskutieren 5 Probleme hinsichtlich der klinischen Lehre.
- Schwache Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit bei Pubertätsblockern und Hormonen. Es sei aber unbekannt, ob die Unterdrückung der natürlichen Pubertät und der Einsatz von Hormonen die Lebensqualität tatsächlich dauerhaft verbesserten.
- Die erstmals im Jugendalter auftretende Genderdysphorie werde so behandelt wie die in der Kindheit zum ersten Mal aufgetretene. Dafür war das Dutch Protocol nie konzipiert oder überprüft worden, die Übertragung ist problematisch, weil ROGD-Jugendliche beispielsweise mehr psychische Probleme mitbringen, z. B. Autismus.
- Die Quote von 98 % der ROGD-Teenager, die von PB zu CSH übergehen und deren unbekannte Detransitions-Rate.
- Die Pubertätsblockade als Beginn der Transition, durch die Beeinträchtigung der normalen psychosozialen und psychosexuellen Entwicklung und damit der eigentlich beabsichtigten Erkundungs- und Reflexions-Möglichkeiten.
- Negative Auswirkungen von PB auf die Gehirnentwicklung von Teenagern, möglicher IQ-Rückgang u. a.
Das Fazit von Jilles Smids und Patrik Vankrunkelsven ist:
„Eine exponentiell wachsende Zahl von Kindern möchte in die medizinische Transition gehen, ohne dass die Ursache für dieses Wachstum bekannt ist und ohne dass man mit guten Gründen sagen kann, dass die Transition ihr Leben verbessern wird. Unseres Erachtens sollten die Niederlande daher sofort eine radikale Reform der GD-Versorgung durchführen und dem Beispiel von Schweden und Finnland folgen. Das würde bedeuten, dass Hormone nur noch als Ultima Ratio, unter strengen Forschungsbedingungen und nur noch für die ursprüngliche Zielgruppe des niederländischen Protokolls verschrieben werden dürfen, nämlich für Kinder mit schwerer GD ab dem frühen Kindesalter. Für die große Gruppe von Jugendlichen, die erst in der frühen Adoleszenz oder sogar noch später eine GD entwickeln, sollten weniger invasive Maßnahmen wie psychosoziale Unterstützung und die Behandlung zusätzlicher psychologischer Probleme die erste Wahl sein. Schließlich sollte der Ausgangspunkt primum non nocere sein.”
Onzekerheden rond de huidige genderzorg, ntvg, Smids, Vankrunkelsven, 07.11.2023
Ausgangpunkt für diesen Beitrag von Smid und Vankrunkelsven war eine Lektion klinischer Fälle von einem Teams von Gender-Klinikern. Es wurden 3 GD-Jugendliche mit vielen psychischen Komorbiditäten und neurologischen Entwicklungsstörungen (z. B. Autismus) präsentiert, die trotz einiger Bedenken medizinisch transitioniert wurden. Im Leitartikel derselben medizinischen Zeitschrift kamen aber dann doch auch die ethischen Bedenken zur Sprache:
"Indem wir behandeln, ohne wirklich zu wissen, ob die Gender-Behandlung später Schaden anrichtet, haben wir den Punkt von Hippokrates "zuerst, schade nicht" überschritten. Das Primat scheint jetzt bei 'zuerst behandeln' zu liegen. ... Sollen wir also 'first do no harm' und 'first treat' durch 'first ask questions' ersetzen? Primum rogare! Aus welchem Labyrinth sucht jemand einen Ausgang? Womit hat er oder sie in seinem oder ihrem Umfeld zu kämpfen?"
Children and adolescents with gender questions: dilemmas in the hormonal treatment by multidisciplinary teams, pubmed, Claahsen-van der Grinten u. a., 28.06.2023
3. Rechtliche Überlegungen zum Dutch Protokoll
Die Praxis in den Niederlanden orientiert sich derzeit am nationalen "Niederländischen Protokoll", das 2018 in einer nationalen Leitlinie formuliert wurde. In dieser Version des "Dutch Protokolls" fehlen etliche Zulassungsbeschränkungen des ursprünglichen Protokolls, das 2006 skizziert wurde und zu dem die beiden Teilstudien von 2011 und 2014 vorliegen.
In einem juristischen Beitrag ging es darum, ob diese nationale Leitlinie als "Standard der Versorgung" gelten kann, wenn es zu Zivilprozessen kommen würde. Seit 2022 sind auch in den Niederlanden einige Detransitionierte in den Medien aufgetaucht. Die hauptsächliche Perspektive des Beitrags ist das Haftungsrecht, zum einen geht es um evtl. Wiedergutmachung von Schäden durch die Transition und zum anderen um das öffentliche Interesse bei der Festlegung von Standards und Vermeidung bzw. Behebung von Regelungsmängeln.
Die Autoren kommen zu den Schlussfolgerungen, dass das Protokoll (Niederländische Leitlinie von 2018) folgende Kriterien nicht erfüllt:
- es beruhe auf einer unzureichenden Evidenzbasis, es gäbe Auswirkungen auf Gehirn, Kognition sowie die Möglichkeit eines Lock-in"-Effekts durch PB bei einer ansonsten möglicherweise vorübergehenden Genderdysphorie. Ohne wissenschaftliche Begründung werden seit einigen Jahren auch Jugendliche transitioniert, die nach den ursprünglichen Kriterien nicht für eine medizinische Transition in Frage gekommen wären.
- es übe in unangemessener Weise medizinische Autorität aus in einem Bereich, der in erster Linie eine Frage der Ethik und nicht der Medizin sei. Nicht medizinische Experten sondern die Gesellschaft sollten entscheiden, ob eine frühe Intervention bei GD/GIK eine angemessene Reaktion auf ein genderinkongruentes Kind ist, dessen Identitätsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Das Ethik-Thema wird breit diskutiert mit der deutlichen Schlussfolgerung:
- es entspreche nicht der niederländischen Leitlinie für Leitlinien, d. h. es sei nicht durch ein ordnungsgemäßes Verfahren erstellt worden, da die Evidenz nicht systematisch überprüft worden sei und die Zusammensetzung des Leitlinien-Teams von Interessenkonflikten geprägt war, beispielsweise waren Detransitionierte nicht vertreten
- zudem seien die Erkenntnisse der jüngsten systematischen Reviews anderer Länder noch nicht in das Niederländische Behandlungsprotokoll eingeflossen, die zu mehr Vorsicht und anderen Behandlungsmethoden hinführen müssten, so dass auch deshalb das Protokoll von 2018 dringend überarbeitet werden müsse.
„Im Rahmen des niederländischen Protokolls (2018) lassen sich mehrere Probleme identifizieren, die nur schwer anders als hochgradig ethisch aufgeladen bezeichnet werden können. ... Bei ethisch sensiblen Themen haben die Fachleute keine Entscheidungsbefugnis.”
Transgenderzorg aan kinderen. Juridische bedenkingen bij het Dutch Protocol (2018), NJB, Smeehuijzen u. a., 20.07.2023
Mehr ...
The 2023 Dutch Debate Over Youth Transitions, SE GM, 19.11.2023
How the Dutch experiment with puberty blockers turned toxic, telegraph, 04.03.2024
Weitere Links zum Thema der Qualität und Relevanz des NL Protokolls
Das Niederländische Modell - populär, aber evidenzschwach
Niederlande - Hört auf, unsere Forschung blindlings zu übernehmen
Pubertätsblocker - Das niederländische Protokoll
Die schwedischen ExpertInnen sprechen im o. g. Film auch an, dass ihnen schon früh aufgefallen ist, dass ihre Teenager-PatientInnen ganz anders waren, als die StudienteilnehmerInnen der Studien zum Niederländischen Protokolls. Professor Michael Biggs hat genauer beschrieben, warum das Dutch Protocol keine Relevanz für die Behandlung der heutigen ROGD-Teenager hat.
Neue Kritik: Niederländischer Schlamassel statt Goldstandard
Auch die finnische Prof. R. Kaltiala hatte bereits 2015 festgestellt, dass die Teenager, die mit GD vorstellten, ganz anders waren, als die Teilnehmenden am Niederländischen Protokoll.
Finnland priorisiert Psychotherapie wg. nicht schlüssiger Evidenzlage
Sind hochwertige klinische Studien zu Hormonen bei U18 überhaupt möglich?
Möglicherweise geht es weniger darum, ob es bei Studien eine Kontrollgruppe gibt oder nicht, sondern - viel grundsätzlicher - ob solche hochwertigen klinischen Studien zu Hormonen, die wegen Genderdysphorie eingesetzt werden, bei Teenagern überhaupt aus ethischen Gründen möglich sind.
Sind entsprechende klinische Studien zu gegengeschlechtlichen Hormonen jemals bei Erwachsenen durchgeführt worden? Wahrscheinlich nicht bzw. nicht in der Qualität, dass es für eine Arzneimittel-Zulassung gereicht hätte.
Bevor die Niederländer mit ihren Experimenten bei Kindern begannen, haben sie Pubertätsblocker noch nicht einmal in Tierversuchen erprobt, obwohl z. B. die verantwortliche Endokrinologin Henriette Dellemarre-van de Waal ein entsprechendes Labor hatte.
"She actually had a laboratory full of rats. ... So they could have easily tested, done some randomized control trials on rats just to see what's the effect of puberty suppression. But they chose not to and instead chose the young girl who we know is [named] FG [in the study] to become their first kind of guinea pig and case study." M. Biggs, 2023
Kathleen Stock sprach jetzt mit einer Leiterin von NHS-Forschungsstudien. Sie äußerte große Skepsis, dass eine ordnungsgemäße klinische Studie zu Pubertätsblockern jemals den international anerkannten, nach ethischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgestellten Regeln der Guten Klinischen Praxis entsprechend durchgeführt werden könnte. Sie sagte Stock:
„Children get classed as a vulnerable group. They need to have very special protections, and the rationale is just not there. The possible impacts [of blockers] on a child are so high that the moment that this was recognised, the study would be shut down. If you had a healthy child, and you recognised that medication could confirm sterility issues, or fertility issues, or bone density issues, the trial would be stopped at that point. It would be completely insane to run such a trial.”
Inside Britain’s new trans clinics, Kathleen Stock, 19.10.2023
Bis heute sind vermutlich alle Jugendliche und junge Erwachsene „Versuchskaninchen", die sich in unkontrollierten Experimenten (off-label) auf Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone einlassen, in der ungewissen Hoffnung, dass sich ihre Probleme vermindern. Das Dutch Protocol taugt nicht als Referenz für ROGD-Teens &Twens.
EU Clinical Trials Register
Bisher wurde noch keine klinische Studie zur Pubertätsunterdrückung mit GnRHa und zur Hormonbehandlung wegen Genderdysphorie angemeldet. Bei der Suche im EU Clinical Trials Register nach GnRHa werden 19 Treffer aufgelistet, dabei ist aber keine Studie, die im Zusammenhang mit Genderdysphorie gemacht wurde/wird.