Finnland: Evidenzbasierte GD-Behandlung etabliert
Prof. Riittakerttu Kaltiala ist die weltweit sehr bekannte leitende Jugendpsychiaterin in Finnland. Sie ist sowohl in der Praxis tätig, als auch in Lehre und Forschung. Nachdem sie 2023 in einem Magazin-Beitrag die Entwicklung der Behandlung genderdysphorischer Teenager in Finnland geschildert hat (s. u.), erläuterte sie kürzlich in einem wissenschaftlichen Beitrag, wie und warum evidenzbasierte Behandlung seit 2019 bei Genderdysphorie in Finnland etabliert wurde. Trotz der Kehrtwende gibt es aus Finnland keine Katastrophenberichte über gestiegene Suizidfälle oder andere unerwünschte Folgen.
2011 startete Finnland gender-affirmativ
Riittakerttu Kaltiala hatte von Anfang an Bedenken, mit einer Transition die psychologisch und physisch wichtige Entwicklungsphase zu unterbrechen bzw. zu stören:
„ Traditionally, child and adolescent psychiatry operated on the assumption that identity consolidation is the result of favourable adolescent development rather than its starting point.“
Trotz dieser Prämisse startete auch in Finnland ab 2011 die Einrichtung von Genderidentitätsabteilungen für Kinder aufgrund von Forderungen von politischen Aktivisten und Anstößen aus der Erwachsenenpsychiatrie. Das niederländische Protokoll wurde wie in den WPATH-Empfehlungen beschrieben, eingeführt, genderdysphorische Teenager erhielten zunächst Pubertätsblocker (PB) und anschließend gegengeschlechtliche Hormone (CSH). Chirurgische Maßnahmen waren für Minderjährige in Finnland noch nie möglich, mit Ausnahme von Brustverkleinerungen.
Die finnischen Behandler beobachteten die mit PB und CSH behandelten Jugendlichen von Anfang an genau und auch fortlaufend. Sie stellten bereits nach relativ kurzer Zeit fest:
„the profiles of patients referred to gender identity services (GIS) differed from those suggested in international literature at the time. The outcomes of medical interventions were more modest than anticipated, despite internationally optimistic expectations. Meanwhile, the number of young people seeking medical GR increased rapidly."
Insbesondere registrierten sie, dass
- die Behandlungssuchenden überwiegend deutlich älter als in den Niederlanden und ♀ waren (∅ war 16 J.), nur sehr selten eine eindeutige Vorgeschichte einer im Kindesalter einsetzenden Genderdysphorie (GD) aufwiesen, aber bedeutende psychiatrische Komorbiditäten (insbesondere Autismus, Depressionen, Angststörungen und Suizidgedanken) bereits vor dem Auftreten von GD zeigten (s.
Tabelle im Beitrag). - die erwarteten Vorteile einer medizinischen Geschlechtsangleichung (MGR), die in den beiden Studien der Niederländer beschrieben waren, nur außergewöhnlich selten eintraten. Die Minderjährigen verbesserten weder ihre psychischen Funktionen noch wurde der bestehende psychiatrische Behandlungsbedarf verringert.
- bei der Suizidsterblichkeit kein Unterschied zwischen transitionierten und nicht transitionierten Minderjährigen festzustellen war.
- erste Detransitionierte auftauchten.
Daraufhin veranlassten die Behandler und Forscher in Finnland systematische Evidenzreviews und ethische Bewertungen. Es fand sich keine solide wissenschaftliche Evidenzbasis für die frühe medizinische Intervention während der Entwicklungsjahre. Sie gilt seither in Finnland als experimentell. Es wurde eine neue nationale Leitlinie entwickelt, die ganzheitlichere Behandlungen zur Berücksichtigung der vielschichtigen Probleme und Sexualitätsthemen empfiehlt.
Rollback ab 2019 - Finnland ändert die Behandlung
Es wird davon berichtet, dass auch in Finnland weiterhin Interessenverbände und Medien einen bedeutenden Druck aufbauten, dass die gender-affirmative Behandlung zugänglich bleibt. Trotz dieses Druckes kehrten die Fachleute des Landes den WPATH-Empfehlungen als erste in Europa den Rücken und bevorzugen seither (ca. 2021) eine evidenzbasierte Behandlung mit psychosozialen und explorativ psychotherapeutischen Interventionen als primärem Ansatz zur Behandlung von Genderdysphorie (GD) bei genderdysphorischen Minderjährigen.
Diese findet in Einrichtungen vor Ort statt. Auch müssen pädagogische und kinderfürsorgerische Bedürfnisse berücksichtigt und psychiatrische Komorbiditäten dort angemessen behandelt worden sein, bevor eine Überweisung zu Genderidentitätseinrichtungen (GIS) in Betracht gezogen werden kann.
Die finnischen Experten sind inzwischen sehr vorsichtig geworden, wenn es um invasive medizinische Maßnahmen wie Pubertätsblockade (PB) und gegengeschlechtliche Hormone (CSH) geht. In den GIS findet für GD-Teenager und ihre Familien zunächst eine ausführliche, mindestens einjährige Beurteilungs- und Beratungsphase durch ein multidisziplinäres Team statt. Teenager und ihre Familie können sich erst dann für eine Medikalisierung entscheiden, wenn Diagnose und Differenzialdiagnose vorliegen, die gegengeschlechtliche Identifikation als beständig und stabil eingeschätzt wird und nur unbedeutende Komorbiditäten festzustellen sind.
Für PB gilt zudem als früheste Altersgrenze 12 Jahre und mindestens Tannerstadium 2-3, Mit CSH kann erst kurz vor dem Erwachsenenalter gestartet werden.
Die Fachleute legen Wert darauf, so weit wie möglich wie bei anderen Entwicklungs- und psychiatrischen Problemen ebenfalls evidenzbasiert zu behandeln. Evidenzbasierung ist auch möglich, wenn es – wie bei Genderdysphorie – fast gar keine gesicherten Belege für die Vorteile der Medikalisierung gibt. Evidenzbasiert bedeutet dann, dass aufgrund der schwachen und unsicheren Belege bei der Medikalisierung zurückhaltend und umsichtig vorzugehen ist.
Die Zahl der Überweisungen zum GIS stagniert in Finnland seit etlichen Jahren
Fragen
Leider wurden keine neueren Zahlen darüber veröffentlicht, wie viele der überwiesenen bzw. beurteilten eine Medikalisierung mit Pubertätsblockern und/oder CSH beginnen.
Auch wäre interessant, zu erfahren, wie der Umgang beispielsweise mit Namen und Pronomen der Betroffenen während der Beurteilungsphase ist, um Neutralität und Ergebnisoffenheit zu wahren.
Riittakerttu Kaltiala wiederholt in ihrem Bericht die vielfach geäußerte pauschale Forderung nach mehr Forschung und ganz konkret:
„Hormonal interventions that modify secondary sex characteristics should be approached with caution in minors and preferably conducted within the framework of a formal research program."
Nach wie vor ist bedauerlicherweise nicht bekannt, ob in Finnland solche Forschungsprogramme gestartet wurden oder wann sie gestartet werden.
Natürlich wäre für uns wichtig zu wissen, wie die Vorgehensweise in Finnland nach der Volljährigkeit aussieht. Dafür sind dann allerdings Prof. Kaltiala und ihr Team nicht die richtigen Ansprechpartner.
Medical gender reassignment in minors – why are we cautious in Finland? R. Kaltiala, 23.07.2025
„You can modify the body, but the benefits for mental health have not been shown."
Beim Gender Healthcare Summit der CASC (Australien) im Oktober 2025 unter dem Titel „Towards holistic care" hat Prof. Kaltiala über die Situation und den Rollback in Finnland referiert:
Day Two Reflections from the Gender Healthcare Summit – CASC, Day One, Berichte von WST, 19.10.2025
Interessante Keynote auf dieser Konferenz auch von Helen Joyce:
Why gender medicine isn’t science, and isn’t medicine, H. Joyce, 19.10.2025
Ursprünglicher Beitrag vom 30.10.2023:
Riittakerttu Kaltiala: „Da ist etwas schiefgelaufen!“
Kaltiala schildert in einem langen thefp-Beitrag sehr ausführlich, welche Bedenken und Probleme es aus ihrer Sicht mit der medizinischen Transition gibt. Sie wundert sich, dass weltweit nur wenige Länder vorsichtiger geworden sind und viele Länder wie Amerika [Anm.: aber auch Deutschland] unbeirrt weiter dem Affirmation-Only-Trend folgen.
Die Motivation für ihren Beruf formuliert sie so:
I decided to specialize in treating adolescents because I was fascinated by the process of young people actively exploring who they are and seeking their role in the world. My patients’ adult lives are still ahead of them, so it can make a huge difference to someone’s future to help a young person who is on a destructive track to find a more favorable course.
Im Rahmen der Verbreitung des „Niederländischen Protokolls“ war Kaltiala 2011 die erste Leiterin des Dienstes für Genderidentität für Minderjährige in Finnland. Als Zweitgutachterin hat sie mindestens 500 Fälle persönlich gesehen.
Kaltiala beschreibt die Euphorie, die mit dem „Rollout” des Niederländischen Protokolls verbunden war:
„Even during the first few years of the clinic, gender medicine was becoming rapidly politicized. Few were raising questions about what the activists—who included medical professionals—were saying. And they were saying remarkable things. They asserted that not only would the feelings of gender distress immediately disappear if young people start to medically transition, but also that all their mental health problems would be alleviated by these interventions. Of course, there is no mechanism by which high doses of hormones resolve autism or any other underlying mental health condition.”
Kaltiala hat von Anfang an hinterfragt, ob MedizinerInnen in gesunde und funktionierende Körper eingreifen sollen, nur weil Jugendliche und junge Erwachsene ihre Gefühle in Bezug auf ihr Geschlecht verändern.
Adolescence is a complex period in which young people are consolidating their personalities, exploring sexual feelings, and becoming independent of their parents. Identity achievement is the outcome of successful adolescent development, not its starting point.
Sie erkannte relativ schnell, dass mit dem Niederländischen Protokoll etwas nicht stimmte. Bereits 2015 veröffentlichte sie zusammen mit einigen KollegInnen einen Beitrag, in dem sie die neue Behandlung ernsthaft infrage stellte. Sie beschrieb beispielsweise, dass ihr Team überrascht war, nicht die erwartete kleine Anzahl von Jungen zu sehen, sondern Scharen von Mädchen (90 % waren ♀) im Alter von 15–17 Jahren. Sie beobachteten hauptsächlich 2 Gruppen:
- Die Mehrheit der Jugendlichen (~75 %) war nicht hochbegabt, sondern wies schon deutlich vor der Genderdysphorie erhebliche psychiatrische Störungen auf (Ängste, Depressionen, Essstörungen, Selbstverletzungen, Psychosen, über 25 % ASS), hatte teilweise psychosoziale oder schulische Probleme.
- Viele Mädchen hatten relativ plötzlich die Erkenntnis, dass sie trans* sind, offensichtlich aufgrund von Internetnutzung, sozialer Ansteckung und Peers. Sie waren erkennbar vernetzt und durch Influencer „gebrieft“.
Nachdem die Besorgnis über Transitionsschäden bei vulnerablen Minderjährigen über mehrere Jahre gewachsen war und die ersten Detransitionierten auftauchten, wurde 2016 – auch auf Initiative von Kaltiala – die Behandlung in Finnland geändert. Jugendliche, die dringendere psychische Probleme als Genderdysphorie hatten, wurden in psychiatrische Beratung überwiesen.
2018 stellte Kaltiala bei COHERE (Council for Choices in Health Care) den Antrag, eine nationale Leitlinie für die GD-Behandlung von Minderjährigen zu erstellen. In diesem Rahmen gab COHERE eine systematische Evidenzprüfung in Auftrag, um die entsprechende aktuelle medizinische Literatur zu bewerten. 2020 wurden das Ergebnis der Evidenzprüfung sowie neue Empfehlungen für Jugendliche veröffentlicht:
It concluded that the studies touting the success of the “gender-affirming” model were biased and unreliable—systematically so in some cases. In light of available evidence, gender reassignment of minors is an experimental practice.
Mittlerweile bekommen in Finnland nur noch 20 % der Überwiesenen eine medizinische Transition, während es früher mind. 50 % waren.
In England und Schweden fanden ebenfalls systematische Reviews statt, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen führten, sodass auch weitere Länder vorsichtiger wurden.
Detransitionierte – ein Kollateralschaden, den es eigentlich nicht geben dürfte?
Ca. 8 Jahre nach Eröffnung der Gender-Klinik kamen einige in früheren Jahren medizinisch transitionierte Jugendliche als Detransitionierte zurück, offensichtlich mehr als die oft kolportierten 1 %.
These were another kind of patient who wasn’t supposed to exist. The authors of the Dutch protocol asserted that rates of regret were miniscule.
Usually, it takes several years for the full impact of transition to settle in. This is when young people who have entered adulthood confront what it means to possibly be sterile, to have damaged sexual function, to have great difficulty in finding romantic partners.
Kaltiala forschte mit KollegInnen weiter, beispielsweise nach den Ursachen für die Flutwelle von GD-Jugendlichen (insbesondere ♀), sie wurden aber nur teilweise fündig:
We noted in our study a point that is generally ignored by gender activists. That is, for the overwhelming majority of gender dysphoric children—around 80 percent—their dysphoria resolves itself if they are left to go through natural puberty. Often these children come to realize they are gay.
Suizidlüge als Druckmittel gegenüber Eltern ist „äußerst unethisch“
Riittakerttu Kaltiala hält es für ihre ärztliche Pflicht, alles, was nicht funktioniert, herauszufinden, es zu organisieren, die KollegInnen und auch die Öffentlichkeit zu informieren und die Behandlung einzustellen. Deswegen hält sie in aller Welt Vorträge über ihre Erkenntnisse und ist beunruhigt, dass sich so wenig bewegt.
Einen Punkt, den sie auch immer thematisiert, ist die routinemäßige übertriebene Warnung von Experten an Eltern, dass ein enormes Suizidrisiko bestünde, wenn sie ihr Kind nicht medizinisch transitionieren.
Any young person’s death is a tragedy, but careful research shows that suicide is very rare. It is dishonest and extremely unethical to pressure parents into approving gender medicalization by exaggerating the risk of suicide.
Ein neuer Medizin-Skandal ist im Gange
Kaltiala vergleicht die affirmative und körper-medizinische Behandlung mit anderen Psychiatrie-Skandalen. In den 1980er und 90er Jahren gab es auffallend viele Fälle, in denen Psychotherapeuten „falsche Erinnerungen“ bei ihren KlientInnen suggerierten, insbesondere an sexuellen Missbrauch durch Väter bzw. Familienmitglieder, der tatsächlich gar nicht stattgefunden hatten, s.
Auch die Gender-Transitions-Behandlung sei „aus dem Ruder gelaufen“, sagt Riittakerttu Kaltiala:
When medical professionals start saying they have one answer that applies everywhere, or that they have a cure for all of life’s pains, that should be a warning to us all that something has gone very wrong.
Gender-Affirming Care Is Dangerous. I Know Because I Helped Pioneer It, R. Kaltiala in thefp, 30.10.2023
„Völlig inakzeptabel"
Prof. Riittakerttu Kaltiala gab kürzlich theaustralian ein Interview. Darin erläuterte sie nicht nur die Entwicklung in Finnland, sondern erklärte auch, dass ihr erst im Jahr 2019 (als die neue Leitlinie entwickelt wurde) bewusst geworden ist, wie kontrovers die Transgender-Politik ist. Selbst Mediziner trauten sich nicht, frei über ihre Bedenken zu sprechen, weil sie fürchten, als transphob angegriffen zu werden.
“But what exactly is transphobic? If you disagree with rapid gender affirming you are immediately labelled transphobic. It’s a really lousy discussion. People are silenced by being given these labels."
“Others think maybe they don’t know enough, so better not to say anything. Better not to be labelled on the internet or attacked on social media. People are afraid of that, definitely, and it’s even worse in other countries. Some experts are even afraid of physical danger to themselves and their families. It is totally unacceptable.”
Finnish doctor Riittakerttu Kaltiala argues case for science in teen gender dysphoria care, theaustralian, 16.08.2025
WPATH/EPATH 2023
Eliza Mondegreen fasst in ihrem Bericht über den Kaltiala-Beitrag u. a. auch ihre Eindrücke von den letzten WPATH/EPATH-Konferenzen zusammen:
„It’s hard to think of another field that has gone so obviously off the rails. To get here, clinicians and medical organisations had to discard everything they knew about medical ethics, child development and literature on desistance.”
America’s trans surgeons could learn from European whistleblowers, E. Mondegreen, 31.10.2023
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