Heute Medizinfortschritt - morgen Skandal?
A. Clayton, eine australische Psychiaterin, gibt anhand der Medizingeschichte mehrere Beispiele von Praktiken, die zu ihrer Zeit medizinischen Fortschritt darstellten, in der Rückschau aber als "gefährliche Medizin" oder Skandal angesehen werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht als barbarisch galten, obwohl sie i. d. R. sehr invasiv, risikoreich sowie ohne strenge Evidenzbasis waren. Sie wurden von Ärzten und der Öffentlichkeit begrüßt, begeistert gefeiert, einige waren sogar nobelpreiswürdig. Bei präfrontale Lobotomien, Klitoris-Kauterisationen, Elektrotherapien, etc. macht sich nach einiger Zeit Skepsis und Ernüchterung breit, heute sind solche Behandlungsmethoden kaum noch nachvollziehbar.
Clayton stellt die Frage, wie in Zukunft rückschauend die derzeit üblichen teilweise ebenfalls
Auffällig ist auch, dass Frauen häufiger Psychochirurgie-Opfer waren als Männer und dass es Zusammenhänge zwischen Medizin und gesellschaftlichen Geschlechtsstereotypen gab.
Braslow (1997) argued that the doctors entwined madness and unladylike behavior, and psychosurgery was seen as a potential intervention to restore femininity. In addition, women were “shackled, straightjacketed, bound and secluded” much more often than men (p. 157). Women who masturbated could be ordered to undergo clitoridectomy; men who masturbated and acted out “never lost their penises or testicles as a cure for these activities.
Warnungen und Bedenken gegenüber der affirmativen Unterstützung der sozialen und medizinischen Transition von genderdysphorischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es bereits heute genug.
- Sie sind zumeist irreversibel, haben negative Folgen für Fruchtbarkeit, Sexualfunktion, Knochen-, Gehirn- und Herz-Kreislauf-Funktion.
- Der massive Anstieg der Genderdysphorie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist nicht ausreichend geklärt,
- Pubertätsblocker und Cross-Gender-Hormone werden genderdysphorischen Jugendlichen standardmäßig im Off-Label-Use verabreicht.
- Die Anzahl der Detransitionierten steigt.
- Es besteht die Besorgnis, dass die Medikalisierung bei GD nicht unabhängig von Stereotypen, Genderbinaritäten und Homophobie passiert.
- Pharma- und Chirurgieindustrie könnten ein Interesse an der Medikalisierung haben.
Bezüglich der sog. informierte Zustimmung und der Patientenautonomie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind auch heutzutage viele Details komplex und klärungsbedürftig, s. Prozess von Keira Bell in England.
The Gender Affirmative Treatment Model for Youth with Gender Dysphoria: A Medical Advance or Dangerous Medicine? A. Clayton, 10.11.2021
Parallels Between Lobotomy and Childhood “Gender” Transition, S. Ayad, 2020
Trans Reality: “I Didn’t Know There Was Another Side”, C. Tavris, 2022
What the world can learn from a lobotomy surgeon’s horrible mistake, washingtonpost, 14.02.2023
Lobotomie - die wohl bekannteste psychiatrische Behandlung der Geschichte, doccheck, 25.08.2022
Psychotherapie - „Falsche Erinnerungen”
Selbst in der Psychotherapie gibt es hochproblematische Verfahren bzw. spezifische suggestive Techniken, z. B. Hypnose oder suggestiver Imagination wiederentdeckter Erinnerungen meist sexuell traumatisierenden Inhalts oder auch sog. Pseudoerinnerungen, die iatrogen im Therapieprozess implantiert werden. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang das sog. False-memory-Syndrom (FMS):
Qualitative Gedächtnisstörung mit falschen, aber als real erlebten Erinnerungen. Meist handelt es sich um ein nicht stattgefundenes Trauma, von der die Person nicht abzubringen ist. Massenmedial diskutiert wurde das Syndrom vor allem in Zusammenhang mit therapieinduzierten Missbrauchserinnerungen. (Pschyrembel)
Klienten sind überzeugt etwas erlebt oder gefühlt zu haben, was nicht wirklich stattgefunden hat, bis hin zu sexuellem Missbrauch. Kennzeichnend ist weniger die falsche Erinnerung als solche, sondern die ausschließliche Fixierung hierauf, die Ausrichtung der gesamten Persönlichkeit auf die falsche Erinnerung und ihre Konsequenzen für die Betroffenen:
„Ein Zustand, bei dem die Identität und die zwischenmenschlichen Beziehungen einer Person sich um die Erinnerung an eine traumatische Erfahrung drehen, die zwar objektiv falsch ist, von der die Person jedoch fest überzeugt ist. … Das Syndrom ist besonders schädlich, weil die Person beharrlich jede Konfrontation mit Tatsachen, die die Erinnerung infrage stellen könnten, vermeidet. So nimmt diese ein Eigenleben an, abgekapselt und immun gegen Korrekturen. Die Person kann so sehr auf diese Erinnerung fokussiert sein, dass sie praktisch unfähig ist, sich mit den realen Problemen ihres Lebens auseinanderzusetzen." (J. F. Kihlstrom)
Falsche Erinnerungen, spektrum.de
False memories of childhood abuse, bps, 2017
Aus der Vergangenheit lernen?
Lisa Marchiano erläutert, welche Parallelen bzw. Analogien sie zwischen dem Trend zur Transidentifizierung von Jugendlichen heute und dem erfundenen Phänomen der ‚verdrängten Erinnerung‘ bzw. ‚false Memory‘ in den 90er Jahren sieht.
Using recovered memory therapy, clinicians unwittingly participated in creating false memories of horrific abuse that in some cases permanently sundered relationships between parents and adult children and sent innocent people to jail for decades. Most importantly, this treatment also harmed the patients it was meant to help.
Damals waren es Erwachsene, die mit relativ normalen Problemen eine Psychotherapie begannen, in der ein(e) TherapeutIn ihnen suggerierte, dass die wahre Ursache ihrer Probleme Missbrauch, Inzest oder satanische Rituale in der Kindheit sein müsste, woran sie sich nicht erinnern könnten. Durch die Autorität bzw. Suggestion der TherapeutInnen/ÄrztInnen kamen es meistens zu ‚wiederentdeckten Erinnerungen‘, die aber zumeist eine Erfindung einer ‚alternativen Vergangenheit‘ waren. Väter wurden beispielsweise der Übergriffigkeit oder sogar Vergewaltigung beschuldigt, Müttern die Schuld von Mitwissen und Versagen bei Schutzmaßnahmen gegeben. Beziehungen und Familien zerbrachen daran.
Jugendliche und junge Erwachsene kommen heute unvermeidbar mit Fragen nach (vom biologischen Geschlecht) abweichenden Identitäten in Berührung. Einige vulnerable Jugendliche infizieren sich (erst in der Pubertät) mit der Gender-Ideologie und glauben schließlich manifest, dass sie das andere Geschlecht oder kein Geschlecht sind.
„As is the case with recovered memories, the ‚discovery‘ on the part of a young person that they are trans brings about a reevaluation of their prior life that validates their diagnosis, altering their sense of identity and personal biography.”
Der Glaube, eigentlich ein anderes oder kein Geschlecht/Gender zu sein, kann zur Zwangsvorstellung werden. Transidentifizierte Teenager sind oft besessen von ihrem Aussehen und davon ‚zu passen", sie reagieren übermäßig empfindlich auf ‚Misgendering‘ und sog. Deadnaming.
Sowohl beim Phänomen der ‚false memories‘ als auch dem Trans-Trend spielten und spielen die Medien eine große Rolle, insbesondere durch die unkritische Darstellung des jeweiligen Trends. Heute steht allerdings das Internet als einflussnehmendes Medium zur schnellen und weiten Verbreitung von Ideen und Informationen im Vordergrund. Hinzu kommen bei Trans* Einflüsse durch ‚die Gesellschaft‘ und reale Gleichaltrige.
„Because both movements rely on self-diagnosis, they are impervious to contradictory evidence. In both the recovered memory and transgender child trend, someone’s subjective experience of him or herself trumps other claims, even without evidence.”
Doomed to Repeat: Gender Ideology and the Repressed Memory Movement - How bad science and good intentions can ruin people's lives, Lisa Marchiano, 07.12.2022
Lügen in der Psychotherapie
Eltern und Psychotherapeuten machen immer wieder die Erfahrung, dass genderdysphorische Heranwachsende ihre Geschichte und ihre Befindlichkeiten nicht wahrheitsgemäß berichten oder sogar bewusst fälschen, meist mit dem Ziel, schneller eine bestimmte medizinische Behandlung zu bekommen. Daher kann es sinnvoll sein, wenn Psychotherapeuten Eltern oder Angehörige zu Gesprächen einladen oder wenn die Therapie als Familientherapie stattfinden kann.
Lügen in der Psychotherapie: Vertrauen ist die Basis, Dt. Ärzteblatt, Mai 2022
Quacksalber
“Gender therapy” doctor admits to advising kids to fake being suicidal to get transgender “treatments”, J. v. Maren, 22.04.2022
Wie konnte das nur passieren?
To the future Dr. Freemans, PITT, 22.08.2022
Doctors Without Ethical Borders - First Doing Harm, from Tuskegee to Trans, 20.12.2022
Blind Spots
Dr. Marty Makary, medizinischer Experte an der Johns Hopkins University, wirft in seinem neuesten Buch einen aufschlussreichen Blick auf das medizinische Gruppendenken, das zu öffentlichem Schaden geführt hat und auch heute noch führt. Er hinterfragt, warum es in Ermangelung von hochwertiger Evidenz zu sog. „eminenzbasierten" Empfehlungen kommt kann, die sich im Laufe der Zeit als falsch erweisen.
Blind Spots: When Medicine Gets It Wrong, and What It Means for Our Health, M. Makary, 17.09.2024
Er liefert Beispiele mittlerweile erwiesener falscher Empfehlungen und medizinischen Praktiken zu Erdnussprodukten bei Kleinkindern, die Fehlinterpretation einer einzigen Studie bei der HRT-Therapie zu Wechseljahresbeschwerden, falsche Empfehlungen zu Opioiden, Blutspenden, Nährstoffen, Antibiotika, etc.
Makary versucht zu ergründen, wie es zu diesen medizinischen Pannen gekommen ist bzw. auch heute immer noch kommt. Er erörtert die Schwächen des Peer-Review-Prozesses für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Artikel und behauptet, dass staatliche Forschungsstipendien und die bevorzugten Narrative der „medizinischen Eliten“ die Art und Qualität der medizinischen Forschung beeinflussen.
Makary macht für diese medizinischen Fehleinschätzungen insbesondere Dogmen, Gruppendenken und die Unterdrückung wissenschaftlicher Debatten in der 'Kultur des modernen medizinischen Establishments' verantwortlich:
How could the experts have gotten it so wrong? Dr. Marty Makary asks, Could it be that many modern-day health crises have been caused by the hubris of the medical establishment?
The Medical Establishment Closes Ranks, and Patients Feel the Effects, nytimes, P. Paul, 19.09.2024