§ 1631c BGB gilt auch für transaffirmative medizinische Maßnahmen

Transaffirmative medizinische Maßnahmen bei Minderjährigen als Verstoß gegen § 1631c BGB? – Eine kritische strafrechtliche Bewertung, Wörner, Windsberger, Roessner, ZfIStw 5/2025
Nach der Veröffentlichung dieser äußerst differenzierten und wohlüberlegten Abwägung und Bewertung kann niemand, der in die sog. „gender-affirmative Versorgung“ involviert ist, mehr den § 1631c BGB ignorieren oder sich darüber hinwegsetzen.
Der § 1631c im BGB ist eine Reaktion auf Sterilisationen, die in der NS-Zeit massenweise aufgrund von Eugenikzielen durchgeführt wurden. Das Sterilisationsverbot in Bezug auf Minderjährige ist ohne Ausnahme formuliert:
§ 1631 – Verbot der Sterilisation
„Die Eltern können nicht in eine Sterilisation des Kindes einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Sterilisation einwilligen."
Wie immer – wenn spezifische Themen nicht direkt gesetzlich geregelt sind – müssen auch bei den „transaffirmativen medizinischen Maßnahmen", die zur Zeit der Entstehung dieses Paragrafen noch nicht bekannt waren, viele rechtliche Abwägungen und Herleitungen diskutiert werden.
Was sind transaffirmative medizinische Maßnahmen?
Im Rahmen der sog. trans-affirmativen Versorgung genderinkongruenter oder -dysphorischer Minderjähriger werden darunter subsummiert:
- Pubertätsblocker (PB) – Eine Behandlung mit GnRH-Analoga (= synthetische Medikamente, die das körpereigene Hormon Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) nachahmen, um die Freisetzung von Geschlechtshormonen (Östrogen und Testosteron) zu unterdrücken), ist nur bis Tannerstadium 3 einschl. (d. h. bis ca. 14 Jahre) in der Lage, die gewünschte Wirkung bei Genderdysphorie zu erzielen, „da ab Tanner-Stadium 4 bereits irreversible, körperliche Veränderungen eingetreten sind“.
Das Suizid-Argument als alternativlose Begründung für die Pubertätsblockade bei GD ist nachweislich nicht haltbar und wird als „invalide“ bezeichnet. Diesem Thema wird in dem Beitrag sehr viel Aufmerksamkeit eingeräumt, es heißt u. a.: „Das erhöhte Suizidrisiko ist vollständig durch koexistierende psychiatrische Störungen wie Depressionen, Essstörungen, ADHS erklärbar. Geschlechtsdysphorie selbst ist damit kein unabhängiger Risikofaktor." - Cross-Sex-Hormone – gegengeschlechtliche Hormone wie Testosteron zur Maskulinisierung von Mädchen und Frauen und Östrogen zur Feminisierung von Jungen und Männern, die zu diesen Zwecken Off-Label verwendet werden.
- Operationen – Entfernung von Geschlechtsorganen und plastische Operationen wie Brustchirurgie (Mastektomie, Brustaufbau), Genitalangleichungen (Neovagina oder Penoidaufbau) zur Änderung der äußeren Erscheinung und Hysterektomie/Oophorektomie z. B. bei Atrophie der Gebärmutterschleimhaut durch Testosteron oder aufgrund von Körperdysphorie.
Strafbarkeitsrisiken
Die AutorInnen bewerten viele dieser medizinischen Maßnahmen bei Minderjährigen als strafrechtlich problematisch und teilweise aufgrund des § 1631c BGB als verboten. In bestimmten Fällen beurteilen sie die Maßnahmen auch als einen Verstoß gegen § 228 StGB (Sittenwidrigkeit trotz Einwilligung) oder nach §§ 223ff. StGB als gefährliche bzw. schwere Körperverletzung.
Pubertätsblockade
Die Pubertätsblockade – isoliert betrachtet – ist nicht von § 1631c erfasst, da sie alleine (d. h. ohne nachfolgende CSH) wahrscheinlich keine Infertilität begründet. Allerdings muss die Pubertätsblockade im Kontext der nachfolgenden CSH-Fortsetzung gesehen werden, die in nahezu allen Fällen erfolgt, um die Transition weiter zu verfolgen.
„Mangels stabiler Datenlage unterfällt dabei zwar die Gabe von sog. Pubertätsblockern selbst dem ausnahmslosen Sterilisationsverbot des § 1631c BGB im Zweifel (noch) nicht. Allerdings verbleibt ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko, weil mit der nahezu stetig folgenden Weiterbehandlung mit gegengeschlechtlichen Hormonen der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit droht."
Aus unserer Sicht (TTSB) wäre es sinnvoller, die Behandlung mit PB und CSH nicht als unabhängig voneinander zu sehen und zu beurteilen, die theoretisch jederzeit beendet werden könnte. Im Urteil des Falles Keira Bell heißt es:
"In our view this does not reflect the reality. The evidence shows that the vast majority of children who take PBs move on to take cross-sex hormones, that Stages 1 and 2 are two stages of one clinical pathway and once on that pathway it is extremely rare for a child to get off it."
Gerade die im Rahmen der trans-affirmativen Versorgung standardmäßig angestrebte frühe Pubertätsblockade mit anschließender Behandlung mit CSH macht die Teenager dauerhaft
CSH / OPs
Hier ist die Beurteilung bezüglich Genital-Operationen bei Minderjährigen vollkommen eindeutig:
„Zwar wird die Sterilisationswirkung weder mit der Gabe gegengeschlechtlicher Hormone noch mit operativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen angestrebt, sie ist aber nicht zu vermeiden und unterfällt deshalb nach der hier vertretenen Ansicht § 1631c BGB."
„Die Gabe gegengeschlechtlicher Hormone ist ein Fall der Sterilisation i.w.S. und als solche vom Schutzzweck des § 1631c BGB erfasst."
Die brustverändernden Maßnahmen (Mastektomie und Brustaufbau) werden im Lichte des § 223ff. StGB (schwere Körperverletzung) beurteilt:
„Anders zu beurteilen und in der Praxis häufiger gewünscht sind Eingriffe wie die Mastektomie oder Aufbauoperationen. Auch hier liegt ein invasiver Eingriff und damit unstreitig eine tatbestandsmäßige (gefährliche bzw. schwere) Körperverletzung (nach §§ 223 ff. StGB) vor, die nur gerechtfertigt wäre, wenn angesichts der Schranke in § 228 StGB (stellvertretend) wirksam eingewilligt werden könnte. …
Selbstbestimmung und Autonomie
Einige interessante Zitate aus dem Beitrag zeigen die Abwägung unterschiedlicher Aspekte:
„Art. 1 GG lässt ein verfassungsrechtliches Menschenbild erkennen, das stark von der Achtung eines selbstbestimmten Lebensentwurfes und Autonomie geprägt ist. Zwar ist es nicht Aufgabe des Strafrechts, bestimmte moralische Vorstellungen zu schützen, umgekehrt muss es sich indes nicht vor jedem noch so vorübergehenden Wunsch Einzelner respektvoll zurückziehen. Hoerster gesteht der Strafrechtsordnung zu, den Einzelnen immer dann vor Schädigungen zu bewahren, wenn dessen eigene dauerhafte Interessen dieses erfordern."
„Entscheidend für die hier gestellte Frage, ob die Gabe gegengeschlechtlicher Hormone trotz ihrer möglichen Sterilisationswirkung dem Schutz höherwertiger Rechtsgüter dient und eine Abwägung zu Gunsten medizinischer Maßnahmen erlaubt, ist mithin eine Wertbestimmung oder (eine Art) Rechtsgüterskalierung. Allerdings lässt sich aus der Verfassung allenfalls eine schwache Güterskalierung ableiten: An der Spitze stehen die Würde des Menschen und das Leben, erst danach körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung, reproduktive Freiheit (Fortpflanzung), Ehre, Eigentum, usw. Vor dem Hintergrund der unklaren Studienlage, der diagnostischen Unsicherheiten und der fehlenden Nachweise für eine positive, inklusive suizidpräventive Wirkung transaffirmativer Maßnahmen (Details siehe oben bei I.) erscheint ein genereller Ausschluss vom Anwendungsbereich des § 1631c BGB nicht gerechtfertigt."
Ausnahmen
Zum Schluss wird allerdings doch die Tür für Behandlungen Minderjähriger im Rahmen von „Forschungsvorhaben" bzw. sog. kontrollierte wissenschaftliche Studien offen gehalten.
„Einwilligungsfähige Behandlungsoptionen im Einzelfall sind derzeit nur in einem gezielten Forschungsrahmen möglich und ratsam."
Als Laien fragen wir (TTSB) uns:
- Machen neue Studien zum Off-Label-Use von PB und CSH noch Sinn, was soll, was kann dazu noch erforscht werden? Gerade Anfang 2025 gab es erneut Systematische Reviews zu
PB, CSH undMastektomien. - Können Studien mit PB und CSH an Minderjährigen jemals die Hürde von Ethikkommissionen nehmen, wenn die Gefahr von Infertilität offensichtlich und äußerst wahrscheinlich ist?
Argumente, die dagegen sprechen:
- Dass Jugendliche nach früher Pubertätsblockade mit anschließender Behandlung mit CSH noch ihre Fertilität erlangen, ist höchst unwahrscheinlich – wie die AutorInnen selbst bestätigen:
„Allerdings gelten für eine Kryokonservierung im Vorfeld operativer Maßnahmen dieselben Einschränkungen wie im Vorfeld der Gabe von Pubertätsblockern oder gegengeschlechtlicher Hormone: Ist die Keimzellreifung infolge früherer Behandlungen nicht erfolgt oder medizinisch nicht mehr möglich, sind die Erfolgsaussichten deutlich bis vollständig reduziert (Details siehe oben IV. 1.).“
- Mädchen und Frauen maskulinisieren durch Testosteron in jedem Alter gut, daher sind trans-affirmative medizinische Behandlungen und Studien bei minderjährigen Mädchen äußerst fragwürdig (ROGD – Abwarten kann für ♀ eine gute Option sein).
- Den „besseren kosmetischen Ergebnissen“ bei Jungen durch frühe Medikalisierung stehen Nachteile bei den Genitaloperationen (zu wenig Hautmaterial für eine Neovagina) gegenüber, die schwer wiegen und zusätzlich abzuwägen sind. Außerdem droht auch hier die Infertilität (Mayoclinic-Studie).
Genital-Operationen bei U18
Wie kann es sein, dass trotz des § 1631c BGB in den vergangenen Jahren immer wieder Minderjährige genitaloperiert worden sind?
Nicht nur die Genitaloperation von Kim Petras, die 2008 im Alter von 16 Jahren in Deutschland erfolgte, ist
Trans: Genital-Operationen in Deutschland
Pro-Trans-Kliniken
Kliniken, wie die Sana-Klinik Gerresheim und die Klinik für Plastische Chirurgie Medienhafen in Düsseldorf, werben ganz offensiv für Mastektomien, die sie auf Selbstzahlerbasis auch bei Minderjährigen ohne Indikationsschreiben und ohne vorherige Hormonbehandlung, alleine nach Wunsch und Einwilligung von Betroffenen und deren Eltern vornehmen.
Hierzu mahnen die AutorInnen des Beitrags:
„Solange der Gesetzgeber diese Maßnahmen nicht regelt, ist Zurückhaltung geboten, die Grenze des § 228 StGB eher erreicht."
Mehr …
Werde ich Kinder haben können? Optionen für eine Fertilitätsreserve bei Transjugendlichen, rosenfluh.ch, 2022