Immer mehr Jugendliche hinterfragen zu Beginn ihrer Pubertät bzw. in der Adoleszenz ihr Gender bzw. ihr Geschlecht

Seit ca. 2007 (etwa parallel zur Einführung des iPhones) registrieren Experten international und auch in Deutschland, eine stark steigende Anzahl von Jugendlichen, insbesondere biologische Mädchen, die zu Beginn der Pubertät bzw. in der Adoleszenz Identitäts-Probleme artikulieren (z. B.  London, München, Charité, Hamburg, Schweden). Es sind Jugendliche, die zu diesem Zeitpunkt ohne eine entsprechende Vorgeschichte sind.

Jugendliche die glauben, dass ihr „gefühltes Geschlecht” nicht mit ihrem biologischen Körper vereinbar ist, entwickeln häufig eine  Genderdysphorie.

Biologische Mädchen sind bei den genderdysphorischen Jugendlichen stark überproportional vertreten (auch in Finnland, 2015, GB), „und das wird auch nicht bestritten, auch von meinen Kollegen nicht in anderen Behandlungszentren in Deutschland und auch international nicht: Im Moment haben wir ein Verhältnis von 5-8 zu 1. Aber wohlbemerkt 5 bis 8 Mädchen auf einen biologischen Jungen. Und das ist eine Entwicklung innerhalb der letzten 5 bis 10 Jahre. Also in einer Dekade hat sich das so verändert, ohne dass wir das bislang schon hinlänglich erklären konnten.“ (Korte 2020) Interessanterweise liegt dagegen die Vorstellungsrate von Mädchen im Kindesalter in München bei nur ca. 20 % (Korte u. a. 2016).

In den letzten 10 Jahren wurde ein deutlicher Anstieg von Genderdysphorie bei Mädchen beobachtet.

"Bei uns in München kommen auf einen Jungen mittlerweile 8 Mädchen. Diesen Trend berichten auch andere Zentren." (Spiegel 11/2018)

Jugendpsychiater Bernd Meyenburg aus Frankfurt berichtet:

auf einen Jungen kämen mittlerweile bis zu 20 Mädchen, die sich eine Behandlung wünschten. Mein Wille geschehe ..., Spiegel, 18.02.2022 (Bezahlschranke)

Anthony Latham, schottischer Arzt, Bioethiker und Medizinrechtler, zur These "Gender-Dysphorie gab es in dieser Zahl schon immer, wurde aber verdrängt."

It might be argued that the increase in children presenting with GD is due to the openness of society and the access to websites and advice that now exists.

Diese Annahme schätzt A. Latham als äußerst unwahrscheinlich ein, seine Argumente:

Puberty Blockers for Children: Can They Consent? 27.06.2022


Ein neueres Phänomen

Bis vor ca. 15-20 Jahren waren hauptsächlich zwei sehr unterschiedliche Kohorten von genderauffälligen Klienten bekannt, zum einen Jungen im Vorschulalter, die als ‚vorschwul‘ bzw. verweichlicht beschrieben wurden und erwachsene Männer, die eine Transition anstrebten:

  1. Early Onset Gender Dysphoria, die früh auftretende Variante, tritt überwiegend bei biologischen Jungen in der frühen Kindheit auf.
  2. Late Onset Gender Dysphoria, die späte Variante tritt erst im frühen bis mittleren Erwachsenenalter auf, ebenfalls überwiegend bei biologischen Männern.
  3. Rapid Onset Gender Dysphoria, die neueste Form von GD betrifft überwiegend weibliche Jugendliche, die vor der Pubertät keine Anzeichen von Genderdysphorie zeigten, dagegen aber häufig andere psychische Leiden seit der Kindheit hatten.

„Rapid-onset gender dysphoria often occurs in adolescents growing up in well-educated, reasonably affluent families with fairly liberal social values. These parents aren’t anti-trans. It’s just that they don’t think gender dysphoria is the right diagnosis for their child.”

What Is Rapid Onset Gender Dysphoria? When teens seek to transition, psychology.today, Ludden, 04.05.2023

In den beiden letzten Jahrzehnten tauchen immer mehr weibliche Teenager auf, die plötzlich zu Beginn oder während der Pubertät eine medizinische Transition anstreben, was es zuvor praktisch nie gab, während die Zahl der transidentifizierten männlichen Teenager gering blieb. Ebenso fällt auf, dass die Anzahl der über 40jährigen Frauen, die Männer werden wollten, verschwindend gering geblieben ist.

Getting it right for Gender-Confused kids and their families, YT, 24.08.2022

For example, at Amsterdam University Medical Center’s gender clinic, a pioneer in adolescent gender care, the proportions flipped. From 1989 to 2005, 59 % of its adolescent patients were assigned male at birth, the Dutch clinic reported in a 2015 study published in the Journal of Sexual Medicine. Since 2016, about 75 % of the clinic’s patients have been youths who were assigned female at birth.

Youth in transition - A gender imbalance emerges among trans teens seek-ing treatment, A Reuters Special Report, 18.11.2022

Why teenage girls are on the front line of the trans war, telegraph, 21.01.2023


ROGD - AOGD

2016 prägte die amerikanische Professorin Lisa Littman den Begriff „Rapid Onset Gender Dysphoria" - „Plötzlich beginnende Geschlechts-Identitätsproblematik“ zur Beschreibung eines Phänomens, das sie bei Jugendlichen aufgrund von Elternbefragungen ermittelt hatte.

Parent reports of adolescents and young adults perceived to show signs of a rapid onset of gender dysphoria, 2018

Für das ROGD-Profil wird zunehmend der noch etwas treffendere Begriff AOGQ (adolescent onset gender questioning) verwendet (S. O'Malley).

In ihrer Auswertung der Eltern-Befragung stellte Littman fest:

  • Diese Jugendlichen hatten zeitgleich mit Gleichaltrigen ihrer Peergroup und nach verstärkter Internetnutzung begonnen, sich als trans* zu bezeichnen, obwohl sie in ihrer Kindheit keine Anzeichen von Transidentität oder Genderdysphorie gezeigt hatten. Auf diese Beschreibung „keine Anzeichen in der Kindheit" bezieht sich das Adjektiv „plötzlich” oder „rapid” in der Bezeichnung ROGD.
  • Bei über 62 % der Jugendlichen war mindestens eine psychische Störung wie Depression, neurologische Entwicklungsstörung diagnostiziert worden, bevor ihre Genderdysphorie einsetzte.
  • Mehr als 36 % der Jugendlichen hatten Trans-Freunde.
  • Littman stellte eine Art „sozialer Ansteckung“ fest, die ähnlich bereits bezüglich Essstörungen erforscht worden war.
  • Nach dem Coming-out als Trans* verschlechterte sich häufig das Familien-Verhältnis.
  • Zudem schien ihr die Transition für viele Jugendliche eine Bewältigungsstrategie zu sein, um mit negativen Gefühlen und mit Problemen umzugehen und sich von den Eltern abzugrenzen.
  • Viele Eltern berichteten außerdem davon, dass ihre Kinder gegenüber Therapeuten und Ärzten wichtige Teile ihrer Kindheitsgeschichte bewusst oder unbewusst verfälscht darstellten, da sie schnell die Information bzw. die Erfahrung hatten, dass ihre „Behandler“ von ihrer Selbstdiagnose überzeugt werden müssen. Beispielsweise kolportieren fast alle genderdysphorischen Jugendlichen die „born-that-way-Erinnerung“, auch wenn die Familien das nicht bestätigen konnten.

Seit der Veröffentlichung Littmans 2018 entwickelte sich schnell ein politisch gefärbter Disput zwischen diversen gesellschaftlichen Gruppen, Fachleuten, Trans*-Aktivisten etc.

Wenn’s um Transgender geht, brennen die Sicherungen zuverlässig durch, NZZ, 2018

Jugendliche, die Fragen zur Entwicklung von Geschlecht und sexueller Identität haben, Interview mit Dr. Korte, April 2019

Es geht zum einen um Begrifflichkeiten und um das Renommee von Unis, zum anderen aber vor allem um den Umgang mit Jugendlichen, die sich selbst als Trans* diagnostizieren und Fachleuten wie Sozialarbeiter, Psychologen, Ärzte (Gynäkologen, Endokrinologen, Chirurgen, Psychiater etc.) aufsuchen. Eine objektive Möglichkeit, Transidentität oder Transsexualität festzustellen, gibt es nicht.

In Relation zu den sog. „early onset“ genderdysphorischen Kindern stellt D. Pauli (Zürich, 2017) fest:

„In der aktuellen klinischen Inanspruchnahme der Praxen und spezialisierten Zentren überwiegen jedoch die Fälle, bei denen sich eine Trans*Identität erst in der Pubertät oder später zeigt. Meist gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Trans* hier deutlich schwieriger“.

Dr. Edwards-Leeper ist die Vorsitzende des Ausschusses für Kinder und Jugendliche der WPATH, sie hat an der Überarbeitung der von diesem Gremium für Gender-Kliniker herausgegebenen Versorgungs-Standards mitgewirkt. Sie sagte im Podcast mit M. Daum, dass der Einfluss der Peer-Group auf ROGD-Teens nicht in Abrede gestellt werden dürfe, da er “in pretty much every other area of adolescent development” gut dokumentiert sei.

“I do get frustrated when people dismiss the [ROGD] phenomenon so quickly, as if it’s something that could never possibly happen (with trans). ... I think it does happen …  I  think that's what's going on for some young people.”


ROGD als Subtyp von GD (Genderdysphorie)

Der Begriff ROGD ist mittlerweile gebräuchlich (Beispiel rbb-Radio-Sendung) für den Subtyp von Gender-Dysphorie, der ohne Vorzeichen in der Kindheit (rapid onset) in oder während der Pubertät beginnt. ROGD wird oft dahingehend kritisiert, dass er kein anerkannter „Diagnose-Begriff" sei. Das ist insofern ungenau, als ROGD den Begriff Gender-Dysphorie enthält.

Im medizinisch-klinischen Umfeld ist Gender-Dysphorie der etablierte diagnostische Begriff für das, was bis 2013 als Genderidentitätsstörung bezeichnet wurde. Da „Störung“ als stigmatisierend galt, wurde der Begriff geändert. Gender-Dysphorie wird verwendet, wenn anhaltend

  • Unbehagen, Missempfindungen, Ablehnung gegenüber bestimmten Körpermerkmalen, insbesondere den Geschlechtsmerkmalen des biologischen Geschlechts, der Sexualität, den sexuellen Empfindungen, der sexueller Orientierung und/oder der mit dem Geschlecht assoziierten sozialen Rolle zum Ausdruck gebracht werden.
  • ein klinisch relevanter Leidensdruck erkennbar wird bzw. sich manifestiert, der eine Behandlung sinnvoll erscheinen lässt.

Die Kriterien für eine GD-Diagnose sind z. B. im DSM-5, dem amerikanischen Handbuch zur Beurteilung und Diagnose psychiatrischer Erkrankungen und in den ICD (WHO) beschrieben. Es gibt separate Kriterien für Kinder (DSM-V 302.6) sowie für Jugendliche und Erwachsene DSM-V 302.85, s. auch Korte S. 20

oscar wild - WikiImages

s. auch ROGD: "the condition that dare not speak its name", Twitter

Der Begriff Gender-Dysphorie ist nicht eindeutig, zwischen den verschiedenen Arten von Gender-Dysphorie gibt es wesentliche Unterschiede (Alter des Auftretens, allmählich/plötzlich, Geschlechterverhältnis, mit GD verbundene sexuelle Orientierungen, sexuelle Fantasien, Wünsche, Perversionen, etc.). Um zu verstehen, warum beim eigenen Kind ROGD vorliegt, sollten Eltern sich informieren, welche anderen beiden Haupt-Typen es gibt:

Gender dysphoria is not one thing, 2017


Veritable Studien und Forschungsergebnisse: Fehlanzeige

Der psychische Leidensdruck unserer genderdysphorischen Jugendlichen ist sehr ernstzunehmend hoch und zumeist behandlungsbedürftig. Das Fehlen grundlegender Studien und Forschungsergebnisse zum Phänomen Genderdysphorie und speziell zur Behandlung von genderdysphorischen Teens ist hochproblematisch. Bis 2010 gibt es überhaupt keine Hinweise, dass Genderdysphorie bei Jugendlichen ohne entsprechende Vorgeschichte in der Kindheit beobachtet worden wäre. Vor 2012 gab es keine wissenschaftliche oder medizinische Literatur, die sich mit jugendlichen Mädchen befasste, die zum anderen Geschlecht transitionieren wollten (A. Shrier, 2021).

Offen ist die Frage, ob die einzelnen Jugendlichen ausreichend diagnostiziert und beobachtet werden. Aufgrund des Affirmation-Only-Trends beschränkt sich die begleitende Psychotherapie zumeist auf eine Art Coaching, In der Regel werden relativ zügig somatisch-medizinische Maßnahmen (Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone, OPs) vorgeschlagen, genehmigt und eingeleitet, um schnelle therapeutische Erfolge zu erzielen.

Allerdings ist gerade deren Wirksamkeit kaum wissenschaftlich erforscht, der Einsatz insbesondere der körpermedizinischen Maßnahmen erfolgt auf experimenteller Basis, im Off-Label-Use und unter der Machbarkeits-Prämisse.

Vielfach fühlen sich die Beteiligten unter einem erheblichen Zeitdruck und neigen zum Aktivismus. Zum einen besteht bei den meisten Fachleuten die Überzeugung, dass die Pubertät, insbesondere die körperliche Entwicklung aufgehalten werden könne und deshalb auch unbedingt aufgehalten werden müsse. Zum anderen melden sich aufgrund ihrer Selbst-Diagnose immer mehr Jugendliche in den Spezial-Ambulanzen. Teilweise versuchen die gut informierten und unter Druck stehenden Jugendlichen sogar ihren Forderungen bei Eltern und Fachleuten durch Selbstverletzung oder Suizidäußerungen Nachdruck zu verleihen. Es scheint teilweise so, als würde der Leidensdruck durch Peer-Pressing und/oder Internet-Einfluss regelrecht kultiviert, um Eltern und Fachleute zu beeindrucken.

Bereits 2016 war in der Zeit zu lesen: "viele von ihnen [erweisen sich] schon als überaus kundig, sagt Saskia Fahrenkrug [Psychologin des UKE HH]. Früher seien die genderdysphorischen Jugendlichen nur mit ihrer Verzweiflung in die Sprechstunde gekommen. Heute würden sie zum ersten Termin schon "die Spezialnamen des Hormons mitbringen, das sie für ihre Geschlechtsanpassung bitte sofort haben möchten."

Die Konstellation, dass üblicherweise die Person, die die Psychotherapie des Jugendlichen durchführt, auch diejenige ist, die Indikationsschreiben bzw. Gutachten für körpermedizinische Maßnahmen erstellt, ist für eine ergebnisoffene Therapie ausgesprochen ungünstig.

In Support of Research Into Rapid-Onset Gender Dysphoria, Hutchinson, Midgen, Spiliadis, 2019