GD-Jugendliche: Woran können sich betroffene Eltern orientieren?

dreamstime s 198771533 Nach wie vor ist es für Eltern eines ROGD-Teens & Twens in Deutschland außerordentlich schwierig, sich im Dschungel der Angebote, Experten-Meinungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Genderdysphorie zu orientieren und eine eigene Position zu finden. Es gibt neue Fach-Beiträge, die ein Licht auf die aktuelle Situation werfen.

Bereits 2020 beschrieben die Kinder- und Jugend­psychia­ter­Innen E. Strittmatter und M. Holtmann die Situation für GD-Jugendliche und ihre Familien in Deutschland treffend:

Neben der fehlenden sicheren Vorhersagbarkeit erscheint es problematisch, dass unter Expertinnen und Experten keine einheitlichen Entscheidungskriterien vorhanden zu sein scheinen. Vielmehr differiert die Entscheidung, welche Behandlungsangebote geschlechtsdysphorische Jugendliche erhalten je nach aufgesuchter Spezialsprechstunde, nach subjektiver Einschätzung der Untersuchenden vom 'Passing' in der angestrebten Geschlechtsrolle und nach der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen, d. h., wie glaubwürdig und konsistent das innere Erleben geschildert werden kann.” (ohne Fettmarkierung im Original)

Geschlechtsidentitäten im Wandel, E. Strittmatter, M. Holtmann, 12.03.2020

Auch sprachen 2020 einige Fachleute beim Thema Trans* bereits von einer ‚komplett durchideologisierten Debatte‘  (Emma 2020).

Aktueller Stand der Kontroverse

Prof. Martin Holtmann (Uni Bochum) deutet an, wie sich die Situation im Fachbereich Kinder- und Jugend-Psychiatrie aktuell darstellt:

„Wir sind als Fach weit davon entfernt, eine stimmige und abgestimmte, konsentierte Orientierung zu bieten."

Was in den letzten Jahren passiert ist, lässt sich nur erahnen:

„Die Debatte wird nicht nur zwischen politischen Parteien und Interessengruppen, sondern auch in unserem Fach bisweilen bitterböse ausgetragen. Die divergierenden Expertenmeinungen spiegeln sich wider in der ungewöhnlich langen Dauer der Erarbeitung der S3-Leitlinie ‚Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, Diagnostik und Behandlung‘ und der wiederholten Verschiebung von deren Fertigstellung.” ... Der Austritt von Mitgliedern aus der Steuerungsgruppe der Leitlinie mag als weiterer Indikator für die spannungsreiche Debatte und die kaum zu überbrückenden Differenzen gelten."

Der erschütternde Seismograf – Zur Rolle der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Transgender-Kontroverse, Zeitschrift für Kinder- und Jugend-Psychiatrie und -psychotherapie, M. Holtmann, 08.09.2023

Eltern müssen sich entscheiden, ob sie die Transition ihres Kindes unterstützen oder ob sie nach alternativen, weniger invasiven Behandlungsmethoden suchen wollen. Sie sollten die verschiedenen Therapie-Richtungen kennen.

Explorativer genderkritischer Therapieansatz

AdobeStock 288862947Der explorative genderkritische Therapieansatzes präferiert eine entwicklungspsychologische Perspektive sowie die ganzheitliche Sichtweise auf Hilfesuchende. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen Sorgfalt und Fürsorge.

Im Gegensatz zu den trans-affirmativen Experten, die Geschlechts-Identität für angeboren halten, sprechen explorativ genderkritische ExpertInnen niemals von Trans-Kindern. Für sie sind ROGD-Teens Jugendliche „deren Persönlichkeitsentwicklung sich noch in einer vulnerablen Phase befindet", die evtl. pubertätsspezifische Reifungs- bzw. Altersrollenkonflikte haben und die nur im Ausnahmefall eine transsexuelle Entwicklung machen.

Genderdysphorie wird ausgehend von einem multifaktoriellen bio-psycho-sozialen Hintergrund betrachtet, Lernerfahrungen spielen bei Identifikationsprozessen sicherlich immer eine Rolle.

"Geschlechtsidentität [ist] eher das Ergebnis einer individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte" (Ponseti, Stirn, 20219)

In Anbetracht des auch in Deutschland sprunghaften Anstiegs der Zahlen von Jugendlichen, die das Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum Geburtsgeschlecht empfinden und bei KiJu-Psychiatern und -Psychologen Hilfe suchen, gehen die Fachleute A. Korte und V. Tschuschke der Frage nach „inwieweit diese Entwicklung auch ein Resultat kultureller und vor allem aber medientechnologischer Umbrüche ist". Sie erläutern, wie diverse gesellschaftliche Veränderungen auf die Identitätsbildung junger Menschen einwirken anhand folgender Kapitel

  • Influencer Economy – Sinnsucher und Sinnverkäufer (Zeitgeist, Globalisierung, Überfluss, Überforderung)
  • Angebot und Nachfrage (neue Behandlungsmethoden (z. B. Pubertätsblockierung, angebotsinduzierte Nachfragesteigerung, Machbarkeit),
  • Soziale Ansteckung im medialen Kontakthof (Identifikationsschablone, Peergroupkontakte, Transgender-Politik)
  • Recht auf Lifestyle statt auf Gesundheit? (Überlegungen zum SBGG, Soziale Transition)
  • Essentialistisches Denken und inkompetentes Schweigen (bio-psycho-soziale Ursachen, Identitätsentwicklung als Teil der Persönlichkeitsbildung)
  • Die Frage nach der Henne und dem Ei (Komorbiditäten, Minderheiten-Stress-Modell, Familiensituation)
  • Sorgfalt und Fürsorge statt Affirmation (Vorteile einer ergebnisoffenen, gender-kritischen intensiven Psychotherapie)
  • One more thing (Gedanken zu Wachstum, Kapitalismus, Optimierungszwang, Grenzüberschreitung, individuelle Krisenlösung)

Die beiden Autoren mahnen abschließend die dringend überfällige Klärung der medizinethischen Fragen rund um das Thema Behandlung von Genderdysphorie an.

Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht, Zeitschrift für Kinder- und Jugend-Psychiatrie und -psychotherapie, A. Korte, V. Tschunschke, 08.09.2023

 

Affirmatives Versorgungsmodell

Fachleute, die das affirmative Versorgungsmodell präferieren, bestätigen die Selbstdiagnose von Kindern und Jugendlichen („Das Kind wird schon wissen, wer es ist.") und unterstützen den Wunsch der Transition umfänglich. KritikerInnen bezeichnen diese Haltung auch als „nodding-dog-approach".

Obwohl die neueren systematischen Studien international breit diskutiert werden, halten viele ExpertInnen in einigen Ländern, z. B. in Deutschland, auffallend lange an der Behauptung fest, die sog. gender-affirmative Versorgung sei wissenschaftlich bewiesen und es gäbe keine Debatte darüber. Ihre Rechtfertigung beruht auf diversen Annahmen (Levine, 2023), die oft vermeintlich als bewiesene Fakten dargestellt werden:

  • Das Entstehen einer Trans-Identität ist das Ergebnis einer höheren Stufe des Selbstbewusstseins.
  • Egal, ob die Trans-Identität bei Kleinkindern, älteren Kindern, Teenagern oder reifen Erwachsenen entsteht, sie ist authentisch und bestehen lebenslang.
  • Alle Varianten der Genderidentität sind biologisch bedingt, d. h. angeboren.
  • Die häufig auftretenden psychiatrischen Symptome sind eine direkte Folge der Gender-Inkongruenz (sog. "Minority Distress"-Modell).
  • Die einzige Möglichkeit, psychiatrische Probleme zu lindern oder zu verhindern, besteht darin, den als „falsch empfundenen“ Körper schon zu Beginn der Pubertät körpermedizinisch zu „behandeln“.
  • Psychologische Bewertungen und Versuche, psychiatrische Komorbiditäten zu behandeln, sollten nur zur Unterstützung der Transition eingesetzt werden.
  • Versuche, Genderdysphorie mit Psychotherapie zu lösen, sind unwirksam oder sogar schädlich.
  • Genderdysphorische Jugendliche müssen in Bezug auf ihre Genderidentität und ihr gewünschtes körperliches Erscheinungsbild uneingeschränkte soziale, hormonelle und chirurgische Unterstützung erhalten.
  • Alle individuellen Ziele der körperlichen Angleichung an die geschlechtliche Identität, auch die, die in der Natur nicht vorkommen, müssen in vollem Umfang erfüllt werden, soweit dies medizintechnisch möglich ist.
  • Die Wissenschaft hat die Vorteile einer frühzeitigen Geschlechtsangleichung bewiesen, und die niedrige Reue- und Ablösungsrate bestätigt diese Praxis zusätzlich.

 

DIe Klärung der medizinethischen Fragen steht weiterhin aus

Es gibt aktuell kaum eine Debatte über ethische Fragestellungen der medizinischen GD-Behandlungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, das Thema ist weiterhin ungelöst.

2020 hat der Dt. Ethikrat eine sog. Ad-hoc-Empfehlung zu Trans-Identität von Jugendlichen veröffentlicht. In dieser Stellungnahme werden die deutlich konträren Positionen unter Fachleuten genannt und als „überaus komplexe und verantwortungsvolle Aufgabe“ gewürdigt. Der Dt. Ethikrat formuliert aber keine klärende Position, medizinethische Bewertung oder Empfehlung, d. h. ob bzw. unter welchen Gegebenheiten die Behandlung mit Pubertätsblockern oder die Unterlassung dieser Behandlung nun als Schaden vermieden werden sollte oder eine angemessene Vorgehensweise sein könnte.

Darüber hinaus hat der Dt. Ethikrat zur Transitionsbehandlung mit PB und CSH nichts Hilfreiches zur Einwilligungsfähigkeit von GD-Minderjährigen, die sich in einer Notlage befinden, geliefert.

Es sind vor allem Fragen offen wie:

  • Ist es ethisch vertretbar, dass bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen medizinische Maßnahmen zur Behandlung von Körperdysmorphie angewandt werden, die zwar geeignet sind, das äußere Erscheinungsbild zu ändern, aber sexuelle Dysfunktionen und Infertilität verursachen, teilweise drastische Nebenwirkungen haben sowie die Lebensqualität, die Lebenserwartung und oft auch die psychische Gesundheit der Betroffenen (hinsichtlich Beziehungen, Bildung, Drogen, Beruf) einschränken?
  • Ist es ethisch vertretbar, dass durch frühe Transition Homosexualität verhindert wird?
  • Ist es ethisch vertretbar, dass Jugendliche und junge Erwachsene derart fundamentale, irreversible und lebensverändernde und lebensverkürzende Entscheidungen für ihre Zukunft treffen?

Die Notlage von Teenagern wird nicht angemessen behandelt

Sallie Baxendale, eine beratende klinische Neuropsychologin und Professorin für klinische Neuropsychologie am University College London, schreibt:

„Every medical student should acquaint themselves with the discomfiting history of epilepsy surgery. Regardless of their eventual speciality, they will become better clinicians for it. As a cautionary tale of what happens when we lose sight of primum non nocere as our guiding principle in medicine, the sorry narrative is exemplary, putting well-intentioned doctors on the wrong side of history again and again.”

Im Falle von Detransitionierten ist das Fazit:

„The detransitioners’ discomfort with their body was a symptom of psychological distress, not a cause, but their medical team prescribed treatments with an irreversible impact and surgically removed healthy tissue in an effort to cure their symptoms.”

Jedem einzelnen Detransitionierten wurde offensichtlich nicht die richtige Behandlung für seine Notlage angeboten. Stattdessen wurde Schaden verursacht, was vor allem ethisch für ExpertInnen problematisch ist. Aus diesen Fällen sollten Lehren gezogen werden.

Doctors have failed detransitioners - Teenage distress is being inappropriately treated, Baxendale, 07.07.2023

Mehr Informationen ...

Was tun, wenn ein Kind sein Geschlecht ablehnt? FAZ, F. Witte, 14.09.2023

Ab wann soll ein Kind über sein Geschlecht bestimmen können? NZZ, 08.10.2022

Deutschland - Wende oder weiter so

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Trans* - Und wenn ja, wie viele?

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