Schwenkt Norwegen um in Richtung Vorsicht?

lukas zischke aR8cPhuPbDw unsplashBereits Anfang 2023 hatte das Norwegian Healthcare Investigation Board (NHIB/UKOM) Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und Operationen für Kinder und Jugendliche als experimentell eingestuft und festgestellt, dass die aktuelle „gender-affirmative“ Richtlinie von 2020 wegen Sicherheitsbedenken überarbeitet werden muss. Die Hauptforderung des UKOM lautete, dass die Empfehlungen dem evidenzbasierten Ansatz folgen sollen, wie er in der übrigen Medizin mittlerweile üblich ist, s. Pasientsikkerhet for barn og unge med kjønnsinkongruens, ukom.no, 09.03.2023. 

Ende 2025 hat Norwegen noch immer keine neue nationale Leitlinien zur Behandlung von Genderdysphorie. Besorgte MedizinerInnen erinnern ihre KollegInnen in einem Leitartikel im Journal of the Norwegian Medical Association daran, den Mut zu haben, Minderjährige vor experimentellen gender-affirmativen Eingriffen zu schützen und auf ihrem gesetzlichen Recht zu bestehen, die Teilnahme an „medizinisch unverantwortlichen Behandlungen" zu verweigern. 

Sie referenzieren auf andere skandinavische Länder. Finnland und Schweden. Im Jahr 2020 kamen die finnischen Gesundheitsbehörden zu dem Schluss, dass die Evidenzbasis für medizinisch gender-affirmative Behandlungen bei Minderjährigen unzureichend ist. Infolgedessen erlaubt Finnland nun nur noch konservative Behandlungen, in erster Linie Psychotherapie und psychosoziale Unterstützung. Medizinische Behandlungen dürfen nur im Rahmen von Forschungsstudien durchgeführt werden, und zwar ausschließlich bei Patienten mit frühzeitigem Symptombeginn und ohne psychiatrische Komorbidität.

Unge med kjønnsinkongruens trenger forsvarlige retningslinjer, 01.09.2025

Just say no, B. Lane, 08.09.2025

Behandlungsverläufe über 2 Jahrzehnten bis 2023

In einer retrospektiven Kohortenstudie wurden Ende 2024 Informationen zur Behandlung genderdysphorischen Jugendlicher veröffentlicht, die an das (einzige) Norwegische Nationale Zentrum für Genderinkongruenz (NCGI) überwiesen worden sind.

Von 1.258 zwischen 2000 und 2020 (im Alter bis einschl. 17 Jahren) überwiesenen Jugendlichen, wurden die Behandlungsverläufe (teilweise bis ins Erwachsenenalter im Jahre 2023) erfasst. Bei der Überweisung waren die meisten Teenager sozial transitioniert, 53,3 % hatten bereits ihren rechtlichen Geschlechtseintrag geändert.
Die grafische Darstellung einiger Ergebnisse der Studie:

Grafische Zusammenfassung der Ergebnisse

Mit durchschnittlich 10,7 % wurden im NCGI Pubertätsblocker deutlich seltener als in anderen Ländern eingesetzt, zudem deutlich mehr bei biologischen Jungen als bei Mädchen und in den letzten Jahren tendenziell zurückgehend. Gegengeschlechtliche Hormone kamen bei 62,2 % zum Einsatz (im Durchschnittsalter von 18,1 Jahren). 

Der häufigste Grund, Jugendliche ohne gender-affirmative medizinische Behandlung zu entlassen (22 %), waren psychische Probleme. In der gesamten Stichprobe hatten 64,5 % eine oder mehrere registrierte psychiatrische Diagnosen (hauptsächlich 33,9 % Depressionen, 21,1 % Ängste, 35,5 % Selbstverletzungen). In der Vergleichsgruppe europäischer Jugendlicher liegt der Anteil mit registrierten psychiatrischen Diagnosen bei 15,5 %. Koinzidenz von Autismus-Spektrum-Störungen fand sich bei 9,1 % gegenüber 1-2 % in der Allgemeinbevölkerung.

Treatment trajectories among children and adolescents referred to the Norwegian National Center for Gender Incongruence, C. B. Nyquist u. a., 08.12.2024

Population-adjusted numbers, demographics and mental health among children and adolescents referred to the Norwegian National Center for Gender Incongruence over two decades, C. B. Nyquist u. a., 15.07.2024


Ursprünglicher Beitrag vom 10.03.2023

Die Zahl der europäischen Länder wächst, die beabsichtigen, Jugendliche vor Schaden zu bewahren, indem sie die medizinische Transition bei Minderjährigen und jungen Erwachsenen stark einschränken. Das Norwegian Healthcare Investigation Board (NHIB/UKOM) hat Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und Operationen für Kinder und Jugendliche als experimentell eingestuft und festgestellt, dass die aktuelle „gender-affirmative“ Richtlinie von 2020 wegen Sicherheitsbedenken überarbeitet werden muss. Die Haupt-Forderung des UKOM lautet, dass die künftigen Empfehlungen dem evidenzbasierten Ansatz folgen sollen, wie er in der übrigen Medizin heute üblich ist.

Die UKOM (unabhängige Nationale Untersuchungskommission für das Gesundheits- und Pflegewesen) empfiehlt, alle hormonellen und chirurgischen Interventionen auf Forschungseinrichtungen zu beschränken, um klare Protokolle, Schutzmaßnahmen und angemessene Nachsorge zu gewährleisten.

Die bisherige Behandlungsrichtlinie von 2020 basiert auf einem Bericht von 2015 mit dem Titel „Das Recht auf das richtige Geschlecht“ und spiegelt weitgehend das „gender-affirmative“ Modell der WPATH SOC7 wider. Medizinische Transitionsmaßnahmen sind für Jugendliche weiterhin ohne eine psychologische Beurteilung verfügbar.

Die UKOM stellt fest, dass die Bewertung und Bestimmung der medizinischen Notwendigkeit von risikoreichen und irreversiblen Eingriffen bei Jugendlichen, deren Identität sich noch entwickelt, mangelhaft ist. Als besonders besorgniserregende Trends bei Jugendlichen nennt die UKOM:

  1. die rasche Zunahme von jugendlicher Genderdysphorie (insbesondere ♀),
  2. die Problematik der begleitenden psychischen Erkrankungen (75 %) und
  3. eine hohe Prävalenz an Störungen wie ADHS, Autismus, Tourette

In Norwegen wird ausdrücklich auf die Gruppe der jungen Erwachsenen hingewiesen, deren Entwicklung als noch nicht abgeschlossen gilt und die gefährdet sind, voreilig eine medizinische Transition anzustreben. Derzeit liegt das Alter für die Einwilligung zur Sterilisation in Norwegen zwar bei 25 Jahren, für körpermodifizierende Operationen scheint dies aber nicht zu gelten, obwohl einige davon auch sicher sterilisieren.

NHIB/UKOM bewerten die medizinische Transition jetzt als experimentell. Damit würde das Recht auf diese medizinische Behandlung entfallen und sie von der Regel zur Ausnahme machen.

Hier der sehr ausführliche Bericht über 15 Websites:

Pasientsikkerhet for barn og unge med kjønnsinkongruens, ukom.no, 09.03.2023

In der größten norwegischen Tageszeitung kommt die Leiterin des UKOM-Projekts, Stine Marit Moen zu Wort:

Vil ha tryggere behandling for barn som vil skifte kjønn. – Mangelfull kunnskap om risikoen, aftenposten, 09.03.2023

Tighten up – New proposals would end routine paediatric transition in Norway, B. Lane, 01.03.2024

Statistisches

Die Aftenposten schreibt, was an Statistik bekannt ist: Von 1975 bis 1990 waren es in Norwegen ca. 4 Personen pro Jahr, die sich wegen Genderproblemen in den Kliniken gemeldet haben. In den vergangenen 10 Jahren ist ein Anstieg der Überweisungen von ca. 50–70 pro Jahr 2007–2010 auf 400–600 Empfehlungen pro Jahr in 2018–2021 angestiegen. Beabsichtigt ist auch zukünftig eine Basis für genauere statistische Auswertungen zu legen. Laut UKOM waren von den untersuchten Kindern 26,1 % als männlich und 73,9 % als weiblich bei der Geburt registriert.


Mehr zu Norwegen

'Yes, it's an experiment'- Norway joins the shift to caution on gender medicine, B. Lane, 10.03.2023

Norway Takes a Step Forward in Ending “Experiment” in Youth Gender Medicine, R. Kelleher, 22.03.2023

Norway’s guidance on paediatric gender treatment is unsafe, says review, BMJ, J. Block, 23.03.2023