Selbstbestimmung · Alles was Recht ist

Prof. Dr. Boris Schinkels, Professor für bürgerliches Recht, internationales und europäisches Privatrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Greifswald, analysiert die rechtlichen Folgen des von der Bundesregierung geplanten Selbstbestimmungsgesetzes im FAZ-Podcast Einspruch vom 23.11.2022 (ab Min. 4:41):

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Prof. Schinkels weist nach, dass es viele (behördliche, aber auch private) Rechtsbereiche gibt, bei denen das biologische Geschlecht eine Rolle spielt. Aufgabe des Personenstandsrechts sei eine Hilfsfunktion, nämlich bestimmte Urkunden mit einer Beweiskraft auszustatten. Er kann sich nicht vorstellen, dass bestimmte Rechtsbereiche ohne die Anknüpfung an das biologische Geschlecht auskommen,

"Das heißt, das Antidiskriminierungsrecht wird wohl sowohl an das biologische Geschlecht weiterhin anknüpfen müssen als auch an Fragen von Gender-Identität."

Wann und wie hinsichtlich geschlechtlicher Identität differenziert werde, müsse von staatlicher Seite grundsätzlich sachlich begründet werden.

"Weder die Differenzierung nach dem Geschlecht, noch die Differenzierung nach der Gender-Identität ist unproblematisch. Beides muss gerechtfertigt werden."

Es dürfe zudem nicht zu einer „Verunklarung" von Begriffen kommen. Er schlägt daher vor, 2 Kriterien einzusetzen, nämlich Geschlecht [das biologische wie bisher] und [als zusätzliche Kategorie] Gender-Identität.

"Also ich glaube fest, dass die Gender-Identität nicht die Anknüpfung des Rechts an das Geschlecht ersetzen kann, weil es unterschiedliche Aspekte gibt, die es zu berücksichtigen gibt. Geschlecht und Gender-Identität sind nicht austauschbar, die sind nicht funktional vergleichbar."

Schinkels bezweifelt, dass die bisher vorgegebenen Begriffe „männlich", „weiblich", „divers" die einzigen sind, die die Geschlechtsidentität adäquat beschreiben. Es sei nicht einsichtig, dass beispielsweise Begriffe verwehrt sind wie „Transfrau", „transmännlich", „biologisch-weiblich", „biologisch-männlich".

Weil eine Erklärung über die Gender-Identität konzeptionell keinen objektiven Inhalt hat und auch keinerlei Überprüfung der Aussage (z. B. durch Gutachten) stattfindet, ist sie auch keine subjektive Tatsachen-Äußerung, sondern eine Meinungsäußerung. Die Begrenzung auf 3 wählbare Begriffe (männlich, weiblich, divers) für den Eintrag Genderidentität, hält er für einen „Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit".

Das vorgeschlagene Gesetz sei auch keine Regelung mehr für besondere Fälle, sondern eine Regelung für alle BürgerInnen.

"Also es wäre ein Wechsel, ein wirklich kopernikanischer Wechsel wenn Sie so wollen, von einem Modell, das grundsätzlich bislang immer noch vom biologischen Geschlecht ausgeht, zu einem Modell, das grundsätzlich für jedermann davon ausgeht, dass maßgeblich ist für ihn, für seine Identität, die Erklärung gegenüber dem Standesbeamten, die er entweder positiv getan hat oder auf die er verzichtet hat, weil er mit dem Eintrag, den er als Kind bekommen hat zufrieden ist."

Prof. Dr. Boris Schinkels hat auch einen Aufsatz in der ZRP veröffentlicht, der auch einige anschauliche Beispiele und Fälle zur Funktionalität des Personenstandsrechts und den Überlegungen zu Neuregelungen enthält:

Personenstandsrechtlicher Sprechakt über die eigene Genderidentität, Oktober 2022

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