Ich bin trans, wenn ich es sage?

AdobeStock 123284117 Sophinette Becker, erfahrene Psychoanalytikerin, die viele männliche erwachsene Klienten mit transsexuellem Wunsch hatte, betonte stets die Vielfalt der transsexuellen Entwicklungen und Phänomene, die auch vielfältige "Lösungswege" erfordert: "DEN 'echten' Transsexuellen gibt es nicht".

Viele KollegInnen von ihr scheuen es, Klienten mit transsexuellem Wunsch zu behandeln: Da gibt es zum einen den Mythos der Unbehandelbarkeit, Probleme mit der Gegenübertragung sowie den schwierigen Umgang mit der körpermedizinischen Therapie zur Geschlechtstransition (Psycho-Chirurgie).

Becker ist der Meinung, dass die GeschlechtsabweicherInnen

"in einer Gesellschaft immer auch eine Antwort auf das Unbehagen der Mehrheit an der jeweiligen Konstruktion des Geschlechtsunterschiedes sind und dieses spiegeln, d. h., dass wir die Transexualitäten von heute nur vor dem Hintergrund der heutigen Gesamtsituation betreffend Geschlechterdifferenz und sexueller Orientierung verstehen können. Und diese ist gekennzeichnet durch Widersprüchlichkeit."

"Gegenwärtig gibt es einen starken Trend in Richtung einer vollständigen »Entpathologisierung« der Transsexualität, verbunden mit einer Postulierung »biologischer Ursachen« und der Forderung nach Gewährung aller somatischen Maßnahmen auf bloßes Verlangen (vgl. Becker 2013). Aus dieser Perspektive werden psychodynamische Überlegungen und Psychotherapie, die mehr ist als affirmative »Begleitung«, als Menschenrechtsverletzungen angesehen."

S. Becker war davon überzeugt, dass viele Transsexuelle von einer psychoanalytischen Psychotherapie profitieren können, wenn die therapeutische Haltung neutral bzw. für jeden möglichen Ausgang des Klärungsprozesses offen ist.

Sie schreibt, dass eine transsexuelle Entwicklung eine Abwehrleistung gegenüber Ängsten verstanden werden kann und der transsexuelle Wunsch entsprechend eine Lösung eines "unerträglichen, existenziell bedrohlichen psychischen Dilemmas" darstellt.

"Transsexualität" - Zwischen sozialer Konstruktion, bisexueller Omnipotenz und narzisstischer Plombe, S. Becker, 2013

In ihrem Vortrag „Identität!” beleuchtet die Sexualwissenschaftlerin und psychoanalytische Therapeutin Becker die Veränderung von Geschlechterrollen und -identitäten sowie den kulturellen Wandel der Sexualität. Ihr Leitmotiv ist dabei das der Ambivalenz: Geschlechterrollen erweitern sich, werden gleichzeitig aber auch akzentuiert. In sämtlichen Bereichen der Gesellschaft sei heute eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu beobachten.

Identität! Vortrag von S. Becker, 04.12.2018

Nachruf auf Sophinette Becker:

Wir sind nicht fluide, taz, 06.11.2019


Ich bin trans. Sicher?

Aleksa Lundberg, Transfrau, Stockholm, spricht offen über ihre Entscheidungen, die sie vor 18 Jahren getroffen hat und rückblickend anders beurteilt:

„Ich würde die geschlechtsangleichenden Operationen und die Hormonbehandlung wahrscheinlich heute nicht mehr machen.“

„Hör dir meine Geschichte an und überlege noch ein, zwei, dreimal extra. Am Ende muss die Behandlung genau für dich richtig sein. Und sieh die Hormonbehandlung und definitiv eine Operation am Unterleib als letzten Ausweg aus deiner Situation. Denn es ist absolut nicht sicher, dass du auch für den Rest deines Lebens so fühlen wirst, wie gerade jetzt.”

Alexa im Deutschlandfunk, 28.06.2020


Jugendliche, die ihren Transitions-Wunsch aufgeben

In einer Studie von 2019 gaben 9,4% der Jugendlichen, die mit Transitions-Wunsch zum Tavistock-GIDS überwiesen worden waren, diesen im Laufe des sog. Bewertungsprozesses auf und/oder hatten nicht mehr das Gefühl, dass ihre Genderidentität nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmte. Die Studie enthält auch 2 repräsentative Fallstudien:

Taking the lid off the box’: The value of extended clinical assessment for adolescents presenting with gender identity difficulties, A. Churcher Clarke & A.Spiliadis, 2019