Offener Brief an EPATH

Sehr geehrte Repräsentanten der EPATH-Konferenz 2021,

wir sind eine internationale Allianz von Organisationen, die sich für eine sichere, zugewandte, ethische und evidenzbasierte Gesundheitsversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Geschlechtsdysphorie einsetzen. Wir vertreten Tausende von Menschen, von denjenigen, die Geschlechtsdysphorie erfahren haben, bis hin zu Eltern, Ärzten und Mitgliedern der LGB-Gemeinschaft. Anlässlich der dreitägigen EPATH-Konferenz in Göteborg bitten wir um die Beantwortung einer Reihe von Fragen:

  1. Die Epidemiologie der pädiatrischen Fälle hat sich deutlich verändert, von vorpubertären männlichen Patienten hin zu Patientinnen in und nach der Pubertät, welche jetzt die größte Gruppe darstellen, die entsprechende Spezialisten konsultieren. Welche Pläne hat EPATH, um valide Statistiken und wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Phänomen zu erstellen, insbesondere im Hinblick auf mögliche soziale Faktoren?
  2. Die jüngsten epidemiologischen Verschiebungen sind noch kaum erforscht und haben schwerwiegende Auswirkungen für Behandlungsentscheidungen. Da die Forschung zur Evaluation der medizinischen Behandlung von geschlechtsdysphorischen Minderjährigen diese nicht berücksichtigt hatte, wie beabsichtigt EPATH dies nachzubessern?
  3. Wie werden die EPATH-Empfehlungen den hohen Anteil an psychischen Komorbiditäten, einschließlich tiefgreifender Entwicklungsstörungen wie Autismus, unter den Patient/innen mit geschlechtsbezogenen Identitätskonflikten berücksichtigen?
  4. Welche Maßnahmen sieht EPATH für Fälle vor, in denen die medizinische Transition nach nur oberflächlicher Diagnostik erfolgte und später bereut wird? Wie soll sichergestellt werden, dass schlechte klinische Praxis korrigiert wird?
  5. Das britische National Institute of Health and Care Excellence stellt fest, dass bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie der mögliche Nutzen von Hormonbehandlungen gegen weitgehend unbekannte und u.U. unerwünschte mittel- und langfristige Arzneimittel-Wirkungen abgewogen werden muss. Wie beabsichtigt EPATH, prospektive, longitudinale, und den medizinethischen Prinzipien entsprechende Forschung über Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen durchzuführen?
  6. Die Korrelation zwischen Geschlechtsdysphorie und Suizidalität schränkt die Vorsorge gegen mögliche langfristige Schäden durch die Behandlung ein. Die meisten Forschungsarbeiten über diesen Zusammenhang sind jedoch verzerrt und von schlechter Qualität. Wie beabsichtigt EPATH die oft behaupteten Selbstmordraten zu belegen?
  7. Gender-non-konformes Verhalten und Geschlechtsdysphorie in der Kindheit sind in hohem Maße prädiktiv für eine homosexuelle Orientierung im Erwachsenenalter. Welche Vorkehrungen enthalten die EPATH-Empfehlungen gegen Konversionstherapie unter einem anderen Etikett?

Wir sind zuversichtlich, dass EPATH mit uns darin übereinstimmt, dass junge Menschen mit Gender- Problemen eine qualitativ hochwertige Unterstützung verdienen, die auf unparteiischen und aktuellen medizinischen Erkenntnissen beruht. In diesem Sinne freuen wir uns auf ihre Antworten auf unsere Fragen.

Unterzeichnende:
AMQG (Switzerland) · Bayswater Support (UK) · Gender Dysphoria Alliance (Canada) · Gender Dysphoria Support Network (Europe) · GENID (Sweden, Norway) · Genspect (international) · Kirjo (Finland) · La Petite Sirène (France) · LGB Alliance No Corpo Certo (Brazil) · Our Duty (UK, Australia, USA) · Parents of ROGD Kids (UK, Germany, USA) · Post Trans (Belgium) · Thoughtful Therapists (UK and Ireland) · TransTeens Sorge berechtigt (Germany)

Pressemitteilung zum Offenen Brief an EPATH

11.08.2021: Heute veröffentlichen wir einen offenen Brief an die European Professional Association for Transgender Health (EPATH). Aus Deutschland sind Dr. med. Matthias Auer (München), PD Dr. med. Jochen Heß (Essen) und PD Dr. phil. Timo Nieder (Hamburg) im EPATH-Scientific Committee verantwortlich.

Der Brief wird von einer internationalen Allianz von Organisationen getragen, die sich für eine zugewandte sichere evidenzbasierte und ethische Gesundheitsversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Geschlechtsdysphorie einsetzen und die Rechte von Trans-Personen mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einklang bringen wollen.

Anlässlich der dreitägigen EPATH-Konferenz in Göteborg zu aktuellen Fragen der Transgender-Gesundheitfordert die Allianz, der 15 Organisationen in 13 Ländern angehören, die Experten auf, sich zunächst mit den Ursachen für den Anstieg der Zahl der trans-identifizierten Jugendlichen, insbesondere der Mädchen in und nach der Pubertät, zu befassen. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der jungen Menschen, die sich wegen Geschlechtsdysphorie in der größten Gender-Klinik des Vereinigten Königreichs behandeln ließen, um 3000% gestiegen. In den Vereinigten Staaten gibt inzwischen fast jeder zehnte Jugendliche an, eine "Transgender-Identität" zu haben, während sich im vorangegangenen Jahrzehnt geschätzt zwischen zwei und 14 von 100.000 Menschen als "Transgender" identifizierten. Junge Mädchen sind inzwischen die Hauptpatientengruppe der entsprechenden Fachärzte.

In vielen europäischen Ländern werden jungen Menschen, die in der Kindheit keine Geschlechtsdysphorie hatten, schon mit 16 Jahren oder noch früher, gegengeschlechtliche Hormone verschrieben und ohne gründliche Untersuchung invasive Operationen (Mastektomien, Hysterektomien, Phalloplastiken) durchgeführt. Diese Praktiken beruhen auf den Empfehlungen der World Association of Transgender Health Professionals (WPATH), die in der Fachwelt fälschlicherweise als "Leitlinien" bezeichnet werden. Diese Empfehlungen beruhen auf der Annahme, dass junge Mensch über ausreichend Urteilsfähigkeit verfügen, um über irreversible Körperveränderungen zu entscheiden, und dass sie daher unhinterfragt dabei unterstützt werden sollten, ihren Körper ihrer gefühlten Geschlechtsidentität anzugleichen (der sogenannte "transaffirmative Ansatz").

Jüngste Studien belegen jedoch die schwerwiegenden und irreversiblen schädlichen Wirkungen gegengeschlechtlicher Hormonbehandlungen und die mangelnde Gewissheit über den langfristigen Nutzen für die Lebensqualität der Patient/innen. Aus diesem Grund haben Großbritannien, Schweden und Finnland inzwischen Moratorien für die Verschreibung von Pubertätsblockern und Hormonen an Kinder und Jugendliche beschlossen, und diese Länder überdenken die Leitlinien zur Behandlung junger Menschen und distanzieren sich von den Empfehlungen der WPATH.

Die unterzeichnenden Organisationen des offenen Briefes, die ein breites Spektrum von Interessengruppen abdecken - von jungen Menschen, die an Geschlechtsdysphorie leiden oder litten, über Eltern, LGBT-Gruppen, Ärzte und Fachorganisationen aus verschiedenen europäischen Ländern - fordern EPATH auf, bei der Medikalisierung junger Menschen umsichtiger vorzugehen.

Sie fordern eine transparente, offene und entpolitisierte Debatte über dieses wichtige Thema, damit jungen Menschen mit geschlechts(rollen-)bezogenen Identitätskonflikten, unter Beachtung des Grundsatzes der Vorsorge, die bestmögliche Behandlung zuteil wird.

Mit freundlichen Grüßen

Interessengemeinschaft TransTeens-Sorge-berechtigt

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