Eine Botschaft der Hoffnung für dysphorische Jugendliche

von einigen anonymen Detransitionierern

Original unter a-message-of-hope.com, 17.12.2020

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  1. Die Zeit ist nicht gegen euch, was die medizinische Transition angeht.
    be kind of yourself - shutterstockJugendlichen mit Genderdysphorie wird in den Medien ständig vermittelt, dass sie Selbstmord begehen könnten, wenn die Transition sich verzögert. In der Realität jedoch schaffen transsexuelle Menschen häufig zuerst die Grundlage für ihre medizinische Transition, indem sie ihr Leben als Erwachsene aufbauen – den Wunschberuf erlernen, finanzielle Rücklagen schaffen und ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen. Medizinische und soziale Transition sind schwierige und kostspielige Vorhaben. Oft hilft es, die Reife und Ressourcen von Erwachsenen zu haben, um das erfolgreich durchzuziehen.

    Trans-Pioniere wie Laverne Cox, Caitlyn Jenner, Elliott Page oder Chaz Bono: Sie alle haben aufgrund ihrer Erfahrungen als Erwachsene die individuell besten Entscheidungen für die Transition getroffen. Abzuwarten, zunächst das eigene Leben aufzubauen, und dann auf besserer Grundlage die besten Entscheidungen zu treffen, heißt nicht, auf die Transition zu verzichten. Aber es erhöht deine Chancen, die für dich selber besten Entscheidungen zu treffen – über medizinische Eingriffe, Jobs und Partnerschaft.

    Du musst weder suizidal werden noch Entscheidungen überstürzen, um deine Identität zu legitimieren. Du verdienst die Vorteile, die zusätzliche Zeit und die volle Autonomie als Erwachsener dir bringen werden.

  2. Es gab eine Zeit, in der ich mich nicht anziehen konnte, ohne eine Panikattacke zu bekommen. Seit meiner Kindheit empfand ich meinen Körper als Anzug, in dem ich gefangen war. Die medizinische Transition ließ diese Gefühle jedoch nicht verschwinden, sondern veränderte sie nur. Ich wurde noch selbstkritischer, sorgte mich um mein „Passing“ und wer mich wie beurteilt.

    Mit der Zeit wurde mir klar, dass mein Unbehagen blieb, weil ich selber mich ständig auf dieses Gefühl der Entfremdung von meinem Körper konzentrierte.
    Es war herausfordernd, aber ich lernte, mich viel wohler in meiner Haut zu fühlen: durch achtsame Meditation und Anerkennung der erstaunlichen Dinge, die mein Körper tut. Indem ich mehr über die Funktionsweise des Körpers lernte, wurde ich dankbar dafür, wie dieser „Anzug“ mich durch die Welt trägt. Hilfreich war auch die Erkenntnis, dass ich mehr bin als nur mein Körper.

    Die meisten Menschen beurteilen dich lange nicht so hart, wie du dich selbst beurteilst. Wenn du den Druck aufgibst, zu verbessern, wie andere Leute dich wahrnehmen, kannst du freier atmen und deine Persönlichkeit entwickeln. Ich kämpfe immer noch darum, mich in meiner eigenen Haut wohl zu fühlen. Aber ich finde Trost in den Qualitäten von mir selbst, die ich selber beeinflussen und entwickeln kann.

    Ich nehme seit über 3 Jahren kein Testosteron mehr und mit jedem Tag wird meine Dysphorie geringer und mein Selbstwertgefühl wächst. Es kann ohne Medikalisierung besser werden, aber man muss den ersten Schritt machen und sich selbst Liebe und Mitgefühl entgegenbringen.

  3. Hoffnung kann nicht von außen kommen; sie muss von innen heraus wachsen, kultiviert wie ein Pflänzlein im Garten. Es ist die Gewissheit, dass du trotz allem und wegen allem das Leben bewältigen kannst, was immer auf dich zukommen mag.

    directory 466935 by GerdAltmann pixabay Was aber, wenn die Dysphorie dich überwältigt? Wenn alle Hoffnung weggerissen wird und nur die Fragen "Was nun?" und "Warum nicht jetzt?" bleiben? Es ist schwer, sich selbst als starke, fähige Person zu sehen, wenn man so viel Schmerz darüber empfindet, wer man ist und wie man die Welt bewohnt. Aber genau dafür ist Zeit da: um sich selbst die Chance auf einen weiteren Versuch zu geben!

    Vielleicht weißt du es noch nicht, aber du hast so viel Macht, Dinge zu tun, die dich zum Lächeln bringen, ohne auch nur einen einzigen Aspekt von dir zu verändern. Geh in Secondhand-Läden und experimentiere mit Mode, engagiere dich vor Ort, probiere etwas Neues aus (besuche neue Orte, höre eine andere Musikrichtung oder mache irgendwas das Spaß macht und was du bisher abgelehnt oder nicht probiert hattest)!

    Jeder Tag ist eine weitere Chance, Glücksmomente zu schaffen; er muss nicht nur Qual bedeuten. Jeden Tag kannst du eine zukünftige Liebe oder den Freund fürs Lebens kennenlernen, den Traumjob bekommen oder ein neues Interessengebiet finden. Diese Möglichkeit an sich kann Grund für Freude sein und kein Anlass, zu grübeln. Ergreife die Chancen! Das Risiko ist es wert und du wirst dadurch ein noch besserer Mensch werden.

  4. Mit 8 Jahren begann ich zu denken, dass ich besser als Junge geboren worden wäre. Ich fühlte mich anders als die anderen Mädchen und konnte schwer Freunde finden. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine Frau zu werden. Ich dachte, ich muss mich dann auf eine bestimmte Art und Weise kleiden und verhalten, was mir völlig fremd vorkam.

    Erwachsene sagten mir, dass ich diese Dinge ganz automatisch tun würde, sobald ich in die Pubertät käme. Das machte mir Angst vor der Pubertät: Ich dachte, dass ich dadurch zu einem anderen Menschen würde. Wenn mir damals jemand Pubertätsblocker angeboten hätte, hätte ich sie genommen. Zum Glück war das in den 1990er Jahren noch keine Option. Meine größte Angst bezüglich der Pubertät stellte sich als falsch heraus: sie hat meine Persönlichkeit nicht verändert.

    Als ich 15 war, erfuhr ich von Geschlechtsangleichung und beschloss, dass ich dies tun musste. Damals gab es nur wenige Gender-Kliniken, und Hormone bekamen nur Erwachsene. Ich transitionierte sozial und fühlte zunächst Erleichterung. Aber das ließ schnell nach. Ich fand es frustrierend, als Mann jünger auszusehen, als ich tatsächlich war. In den nächsten Jahren konzentrierte ich mich so sehr auf die erhofften Hormone, dass ich im Alltag nicht mehr funktionieren konnte.
    Im ersten Jahr mit Testosteron fühlte ich mich großartig. Aber dann bekam ich gesundheitliche Probleme, von denen ich merkte, dass sie sich mit der Zeit nur verschlimmern würden. Ich kämpfte mit der Entscheidung, das Testosteron abzusetzen, denn man hatte mir gesagt, dass dies die einzige Behandlungsmöglichkeit für meine Dysphorie sei und dass ich ohne diese Behandlung nicht weiterleben könne.

    Schließlich setzte ich im Alter von 23 Jahren das Testosteron ab und blieb auch dabei. Ich brach meine Transition aus gesundheitlichen Gründen ab, nicht weil mein Selbstbild sich änderte. Aber mir wurde klar, dass die Leute, die meine Genderdysphorie und meinen Transitionswunsch bestätigt hatten, mich dabei unterstützt hatten, meine Gesundheit zu missachten. So distanzierte ich mich von allem, was mit Transgender zu tun hat. Ich „detransitionierte“ bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Ich erkannte, dass mein Körper eigentlich nie mein Feind gewesen war und dass „weiblich“ zu sein nicht bedeutet, dass ich feminin sein oder nach Genderstereotypen leben muss.

    Ich bin jetzt 37 Jahre alt und leide nicht mehr unter Genderdysphorie. Aber ich hatte sie, und das war mehr als nur eine „Phase“, die Dysphorie hat meine gesamte Jugend geprägt.

    Rückblickend weiß ich: Meine Überzeugung, dass ich eine medizinische Transition brauche, um meine Genderdysphorie zu überwinden, hielt mich davon ab, sie hinter mir zu lassen. Als ich entschied, die medizinische Transition aus gesundheitlichen Gründen abzubrechen, ließ das Gefühl der Dringlichkeit nach. Als ich mein Leben nicht mehr auf eine falsche Hoffnung und ein unerreichbares Ziel ausrichtete, wachte ich auf. Ich erkannte plötzlich viele große und kleine Dinge, für die ich dankbar sein konnte.

  5. Meine Botschaft an alle Trans-Teens, die unter Genderdysphorie leiden: Während der Transition erdrückte mich die Angst, dass ich wahrscheinlich Selbstmord begehen würde, wenn ich nicht transitioniere. Das war wirklich beängstigend.

    Aber: Es stimmt nicht. Dysphorie lügt euch an. Wenn du genderdysphorisch bist, bist du nicht zum Selbstmord verdammt, versprochen. Es gibt Methoden, sich von Genderdysphorie und Unbehagen zu befreien, ohne zu transitionieren. Und du kannst heute und hier damit anfangen, sie zu erlernen.

    Wenn du dich das nächste Mal sehr dysphorisch fühlst, verzweifle nicht. Konzentriere dich auf etwas, was dich mit Frieden erfüllt und ablenkt. Der klügste Ratschlag zur Dysphorie, den ich je gefunden habe, stammt von einem Trans-Mann. Dem half es bei seiner sozialen Dysphorie, dass er sich einen Hund zulegte, mit dem er spazieren ging. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen Hund, den er lieben und über den er mit anderen Menschen reden konnte. Wenn du am liebsten aus deiner Haut kriechen möchtest, stecke deine Energie in etwas anderes: Hobbys, Lernen, Brot backen, Kreuzstich sticken, Tanzen. Es klingt vielleicht zu einfach, aber ich verspreche dir, du kannst es schaffen. Das Leben wird größer und besser, wenn du dich auf natürliche Weise auf etwas anderes als deine Gender-Identität konzentrierst. Selbst wenn du dann später doch transitionierst, wird dein Leben reicher sein, weil du diese Bewältigungsstrategien entwickelt hast.