David Bell (Tavistock) zur Transition von Jugendlichen

Dr. David Bell, Psychiater und Psychotherapeut (Ex-Governor am Tavistock, London), sprach im Rahmen der Veranstaltung „Braucht Deutschland ein Selbstbestimmungsgesetz?" am 21.09.2023 in Berlin über die Frage, ob bereits Jugendliche transitionieren sollten, wenn sie unter Genderdysphorie leiden.

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Skript des Vortrags:

„Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich gebeten wurde, vor dieser Versammlung zu sprechen, die ich für sehr bedeutsam und wichtig halte. Und ich bin besonders besorgt, weil ich mich seit vielen Jahren mit diesem Thema beschäftige und ein internationaler Experte geworden bin seit 2018, als ich zusammen mit anderen Personen die Öffentlichkeit auf dieses Thema aufmerksam gemacht habe. Mein Bericht, neben verschiedenen anderen Bedenken, die von vielen anderen Stellen geäußert wurden, führte schließlich zu einer Umgestaltung der gescheiterten Gender-Services für Kinder und Jugendliche, um sie vor den Gefahren zu schützen, die aus der sogenannten Affirmationspolitik resultierten.

Da ich viele Kontakte zu deutschen Kolleginnen und Kollegen habe, bin ich jedoch erschüttert darüber, dass die Dinge in Deutschland so weit zurückliegen.

Warum ist Affirmation schädlich für Kinder und Jugendliche?

Nun, ich denke, diese Art des Denkens ist zutiefst falsch ist, und es resultiert aus einer tiefen Verwirrung zwischen dem, was ich als primäre Notwendigkeit bezeichnen würde, nämlich die Notwendigkeit, Kinder und junge Menschen zu schützen. Und das ist mit dem verwechselt worden, was als eine Menschen­rechts­agenda missverstanden wird. Das ist keine Menschen­rechts­frage, sondern es geht um den Schutz von Kindern. Nachdem ich also diese Überschrift gesetzt habe, werde ich sie ein wenig erklären. Wie viele von Ihnen wissen, gibt es einen enormen Anstieg in der Zahl der Kinder und Jugendlichen, die aufgrund ihres Geschlechts in Not geraten sind. Es gibt zwei Merkmale dieser zahlenmäßigen Explosion. Das eine ist die Zunahme der Zahlen, die absolut exponentiell ist. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich in der nationalen Klinik in England vorstellten, stieg innerhalb von 10 Jahren von etwa 90 auf 3.000.

Und ich weiß, dass es in anderen europäischen Ländern und in Deutschland ungefähr genauso ist. In ähnlicher Weise hat es einen Wechsel von überwiegend Jungen zu 70 bis 80 % Mädchen gegeben. Auch hier ist es in Deutschland das Gleiche.

Also müssen wir uns also zunächst die Frage stellen, wie wir das verstehen können. Wie verstehe ich diese Veränderung? Und was sich gezeigt hat, für mich und viele andere Mitarbeiter in diesem Bereich ist, dass ein solch exponentieller Anstieg verstanden werden muss im Hinblick auf den soziokulturellen Kontext, in dem diese jungen Menschen leben.

Jedes psychologische Problem entsteht an der Grenze zwischen dem Individuum und der Kultur, in der es sich befindet. Ich denke, es ist ein tiefgreifendes und gefährliches Missverständnis, einfach zu denken, dass es sich um Kinder handelt, die sich als transsexuell outen und die Beweise sind völlig könträr dazu.

Die Gefahr besteht, um auf Ihre Frage zurückzukommen, darin, dass, wenn wir nicht akzeptieren, dass dies eine Art der Präsentation eine Notlage ist, wir übersehen, dass diese Notlage mehrere Ursachen hat. Das ist etwas, was wir wissen. Das heißt, wir wissen, dass 35% der Kinder auf dem autistischen Spektrum sind, wir wissen, dass eine große Anzahl von ihnen schwer depressiv, traumatisiert, missbraucht, in der Familie missbraucht wurden und so weiter und dass verschiedene andere Arten von Problemen auftreten können, ich könnte fortfahren.

Aber der springende Punkt ist, dass es viele verschiedene Probleme gibt, die diese Mädchen aufweisen und ich sage der Einfachheit halber Mädchen, denn es sind in der Mehrheit Mädchen, die Probleme in Bezug auf ihren sexuellen Körper zeigen. Das muss erforscht und verstanden werden, nicht bestätigt. Affirmation ist nicht die richtige Haltung für einen Kliniker. Neutralität ist die angemessene Haltung und der richtige Weg. Und natürlich habe ich mit vielen Detransitionierten gesprochen, das sind Kinder und Jugendliche, die ihre Meinung geändert haben, Mädchen haben eine Mastektomie hinter sich und bekamen gegengeschlechtliche Hormone, was natürlich irreversibel ist. Und sie haben berichtet, dass es keine richtige Erkundung gab, warum sie sich in Bezug auf ihren geschlechtlichen Körper in einer Notlage befanden.

Soziale Transition sollte nicht als hilfreiche und neutraler Vorgehensweise betrachtet werden. Er bringt ein Kind auf den Pfad zu medizinischen Eingriffen, es geht dabei um Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und Operationen. Und wir wissen, wenn Kinder einmal diesen Pfad eingeschlagen haben, ist es sehr schwierig, ihn wieder zu verlassen. Es ist also eher ein natürlicher Ansatz, einem Mädchen zu sagen, das von sich sagt, „Ich bin kein Mädchen oder ich hasse meinen sexuellen Körper“.... Viele dieser Mädchen sagen, dass sie ihren Körper nicht ausstehen können, einige von ihnen benutzen nicht einmal Wörter wie Brust oder Vagina, so sehr hassen sie sie. Wenn diese Mädchen also sozial transitionieren, müsste man sagen: „Du unterstützt eine falsche Lösung für deine komplexen Probleme, es ist eine Pseudolösung.“ Und sobald sie sozial transitionieren, tauchen sie unter Gleichaltrigen und in der Gesellschaft im Allgemeinen als Jungen auf. Sobald sie diesen Weg eingeschlagen haben, wird es für sie immer schwieriger, wieder zurückzukehren. Sie sind dann entweder auf dem Weg zu Pubertätsblockern oder zu Hormonen des anderen Geschlechts.

Man muss kein großer Psychiater sein, um zu erkennen, dass ein Kind von 14 bis 16 Jahren, durch die Turbulenzen der Adoleszenz geht. Nun sind einige Mädchen, wenn sie sekundäre Geschlechtsmerkmale entwickeln, absolut begeistert. Sie können es kaum erwarten, ihre Brüste wachsen zu sehen und so weiter. Aber viele Mädchen empfinden das gar nicht so. Wir wissen, dass das keine Seltenheit ist. Wir alle sehen Mädchen, die mit gebeugten Schultern die Straße entlanglaufen, um ihre Brüste zu verbergen; sie empfinden sehr schwierige Gefühle in Bezug auf ihren entstehenden weiblichen Körper. Diese Mädchen haben es sehr schwer. Außerdem sind Mädchen ziemlich verstörenden pornografischen Bildern ausgesetzt, die heute ganz anders sind als noch vor 10 oder 15 Jahren.

Ich denke also, dass vieles für ein soziokulturelles Verständnis spricht, ebenso wie für die Vorstellung, dass bestimmte soziokulturelle Bedingungen die gewöhnliche große Unruhe, die ein Mädchen in Bezug auf die Entwicklung ihres Sexualkörpers empfinden könnte, verstärkt haben.

Und das ist in Ordnung, weil wir darüber nachdenken können und es verstehen können. Aber einem Kind von 14 oder 15 oder 16 Jahren zu sagen, „weil du sagst, du bist ein Junge, brauchen wir nicht darüber nachzudenken, warum du das sagst, wie du zu dieser Entscheidung gekommen bist, was sie für dich bedeutet, wo es in der Erzählung deines ganzen Lebens liegt“, nur um es als eine einfache Tatsache zu behandeln? Das ist für mich eine schwere Vernachlässigung eines Kindes.

Ich würde es als eine Art Ausnahmesituation bezeichnen. Denn wenn eine junge Frau mit, sagen wir mal, einer Essstörung vorstellt, dann bestätigen wir das nicht. Und wenn ein Mädchen zum Beispiel sagt, „mein Gewicht ist 44 kg“, würde ich ihr nicht sagen, „Du irrst Dich total, das ist Dein falsches Gewicht, wir werden etwas dagegen tun“. Ich würde stattdessen sagen: „Ich akzeptiere, ich verstehe, dass du dich dick fühlst, und ich verstehe, dass du dich schrecklich fühlst“, aber ich würde nie sagen, „Du bist dick“. Ich hoffe, Sie verstehen die Analogie. Wir würden akzeptieren, dass sich das Kind als Junge fühlt, und sagen „Wir verstehen das“, aber wir würden niemals bestätigen, „Du bist ein Junge“ oder „du bist ein Junge in einem Mädchenkörper.“

Das ist sehr, sehr schädlich und ein unangemessener klinischer Ansatz und daher eine unangemessene Vorgehensweise für jeden und jede.

Was halten Sie davon, Kinder und Jugendliche zu transitionieren?

Nun, ich denke, viele Menschen würden die Transition junger Menschen als ein Experiment betrachten. Und es ist ein Experiment, das sich als ein sehr gefährliches Experiment erwiesen hat. Das liegt daran, dass wir wissen, dass ein junger Mensch auf einen medizinischen und möglicherweise chirurgischen Pfad gesetzt wird. Sie werden also für den Rest ihres Lebens zu Patienten.

Viele sprechen darüber, als ob es sich um einen kleineren Eingriff handelt, wie eine kleine Schönheits-Operation. Dabei sprechen wir von einer beidseitigen Mastektomie, der Entfernung von Unterleibsorganen, der Entnahme von Körperteilen zur Herstellung eines „Fake-Penis“. Also mein Rat wäre natürlich derselbe wie der in England und Skandinavien: Er würde darin bestehen, Pubertätsblocker bei Kindern zu verbieten, weil es damit für das Kind fast unmöglich ist, angemessene Hilfe zu erhalten.

Die angemessene Hilfe würde bedeuten, einen neutralen Raum zu schaffen, in dem das Kind unterstützt werden kann. Ich sage nicht, dass jedes Kind eine Psychotherapie oder Analyse erhalten sollte, aber zumindest sollte es über einen längeren Zeitraum unterstützt werden, um sich selbst zu verstehen und über sich selbst nachzudenken, und dieses Nachdenken sollte die Familien mit einbeziehen, es sei denn, es gibt einen sehr guten Grund, dies nicht zu tun."


Lesenswert ...

David Bell - Primum non nocere, dt. Fassung von „First do no harm", psyche.de, 2023