Australien: Neue Studie offenbart Handlungsbedarf

tristan ramberg KLVhD9u eBQ unsplashEin Team von Fachleuten des Gender-Services des NSW Children's Hospital Westmead (Psychiatrie, Endokrinologie u. a. Abteilungen sowie ein leitender Ethikexperte) hat 79 genderdysphorische Jugendliche in einer „prospektiven Follow-Up-Studie” über 4-9 Jahre nachverfolgt.

Untersucht wurden die Entwicklungsentscheidungen dieser Jugendlichen, die im Alter von 8,42-15,92 Jahren (Dezember 2013-November 2018) zur diagnostischen Abklärung von Genderdysphorie (GD) und für mögliche ‚genderbestätigende‘ medizinische Interventionen an den 2013 eingerichteten Gender-Service im Sydney Children's Hospitals Network überwiesen wurden. 76 StudienteilnehmerInnen, wurden Ende 2022/Anfang 2023 (dann 13,25-23,75 Jahre alt) letztmalig befragt. Das Geschlechterverhältnis ♂:♀ war 41,8% : 58,2%.

Die augenfälligsten Ergebnisse im Untersuchungszeitraum

  1. In der Gesamtkohorte von 79 Jugendlichen setzten 60 den Transgender-Weg fort und 17 gingen einen alternativen Weg. Damit lag die Abkehrquote von geschlechtsbezogenen Problemen bei 22,1 %. 2 Jugendliche konnten nicht nachverfolgt werden.
  2. Von den 68 Jugendlichen, die eine formelle GD-Diagnose bekamen, betrug die Abkehrquote von medizinischen Maßnahmen 9,1 %.
  3. Von den 79 Teilnehmenden hatten fast alle bereits vor der Pubertät Genderdysphorie, die meisten (51,9 %) im Kleinkind-/Vorschulalter.
    Lediglich 4 (5,1 %) Jugendliche wurden als ROGD eingestuft, alle 4 erfüllten allerdings die GD-Diagnosekriterien nicht und wurden deshalb an ihre individuellen Therapeuten zurückverwiesen.
  4. Bei der Erstdiagnose wurde festgestellt, dass 88,6 % komorbide psychische Diagnosen hatten (mit einem hohen Anteil ASS) und andere Indikatoren für psychische Probleme auswiesen. Bei der abschließenden telefonischen Nachbefragung (keine Nachuntersuchung) berichteten noch 63,3 % davon.
  5. Die Studie stellte bezüglich der pubertätsblockierenden Behandlung einige negative Auswirkungen fest (z. B. bei Knochendichte und Gewichtszunahme), die auch gegen deren vollständige Reversibilität sprechen.
  6. Interessanterweise haben 51 Jugendliche (das sind 64,6 %!) eine Behandlung mit CSH außerhalb des Gender-Services am Krankenhaus in Sydney begonnen, davon knapp 40 % bevor sie 16 Jahre alt waren (in New South Wales sind CSH erst nach dem 16. Lj. erlaubt). Die Hormone stammten offensichtlich aus unregulierten Quellen bzw. von unregulierten Anbietern.

Da das Team des Gender-Services in Sydney, als es 2013 begann, bereits feststellte, dass die Evidenzbasis für alle Behandlungsaspekte, vor allem aber die Studien zu langfristigen Ergebnissen, spärlich waren, wurden einige strukturelle Maßnahmen getroffen, um einen vorsichtigeren Ansatz zu verfolgen, wie

  • ein Telefonscreening (in der Studie Triage genannt) zur Abklärung, ob die Diagnosekriterien des DSM5 für GD wahrscheinlich erfüllt sind (als Aufnahmekriterium).
  • Für Pubertätsblocker und CSH wurden nur Jugendliche zugelassen, bei denen die Diagnose DSM-5 nach der Aufnahme in einem Screening bestätigt werden konnte.
  • Alle Jugendlichen mussten sich in einer externen kontinuierlichen Psycho- oder Familientherapie befinden, die vom KH selbst nicht angeboten werden konnte.
  • Die Beurteilung und Behandlung mit CSH (ab 16 J.) war an ExpertInnen der Erwachsenenbetreuung delegiert.

Auch diese Studie lässt viele wichtige Fragen offen

Ähnlich wie in den Niederländischen Studien konnte nicht unterschieden werden, welchen Anteil Psychotherapie an den Ergebnissen hat und was die medizinische Transition bewirkt. In der australischen Studie wurde die kontinuierliche, unterstützende individuelle Psychotherapie einerseits als „Sicherheitsnetz" bezeichnet, andererseits war sie im Rahmen der Studie eine Art Black Box:

„We do not know whether the therapists sought to hold a neutral therapeutic stance akin to our own or whether they held a different position or positions. It is possible that therapists’ own perspectives affected the patients’ decisions to choose to persist or desist, and also the quality of the intervention that the young person received for the treatment of comorbid mental health concerns.”

Nicht untersucht wurden weitere wichtige Fragen, z. B. ob die genderbestätigende medizinische Behandlung Depressionen, Ängste, Suizidgedanken, Selbstverletzungen lindern konnte bzw. das psychische Wohlbefinden oder die Lebensqualität verbessert. Stattdessen heißt es lediglich:

„An unanswered question in the paediatric literature is whether gender-affirming medical treatment improves or does not improve mental health outcomes and quality of life.”

Trotz der Vorsichtsmaßnahmen gab es etliche Desister und Detransitionierte, was die BehandlerInnen anscheinend nicht unbedingt erwartet hatten:

„Even so, a serious problem remains. Despite the most careful screening and biopsychosocial assessment, some young persons who seek gender-affirming medical interventions and become eligible for and receive these interventions will come to regret their earlier decisions and will choose to desist or detransition.”

Die Restriktionen der Studie

In der Studie werden durchaus selbstkritisch etliche Einschränkungen genannt:

  • Wie üblich gibt es auch bei dieser Studie keine Kontrollgruppe und kein verblindetes randomisiertes Vorgehen.
  • Durch die Ausgliederung der CSH-Behandlung an die Erwachsenenabteilung gab es hierzu keine Auskünfte über Nebenwirkungen oder Inanspruchnahme von fertilitätserhaltenden Maßnahmen.
  • Die Studie leistet keinen Beitrag zu evtl. Placeboeffekten, die mit der Diagnose und Behandlung selbst, insbesondere mit der Anwendung von Medikamenten wie PB oder CSH einhergehen könnten.
  • Zu berücksichtigen ist, dass der Berichts-Zeitraum mit der Erstvorstellung in der Gender-Abteilung, sodass sich etliche StudienteilnehmerInnen am Ende des Zeitraums (4-9 Jahre nach der Erstaufnahme) noch in der medizinischen Transition befanden. Bekanntermaßen findet Detransition oft erst sehr viel später im Erwachsenenalter statt.

Resümee 

Die Schlussfolgerungen klingen bemerkenswert kritisch, als fühlten sich die Fachleute mit den Ergebnissen nicht sonderlich wohl.

The data from this study show that when young people with gender distress present to health services seeking medical interventions, they end up following a diverse range of developmental pathways.

Die Autoren der Studie weisen speziell auf die Diskrepanz hin, dass die medizinischen Interventionen mittlerweile sehr etabliert sind, obwohl ihre Evidenzbasis nach heutigen Maßstäben äußerst schwach („very low”) ist.

Sie schreiben, dass das Konzept der medizinischen Bestätigung nach dem Dutch Protocol bereits in die allgemeine Kultur eingebettet sei. Die Familien hätten sich bereits mit der festen - durch Medien und Internet und Fachleute geprägten - Vorstellung an den Gender-Service in Sydney gewandt, dass die medizinische Behandlung die beste Option sei.

„The current evidence suggests the need for a much more nuanced and complex approach. As research data pertaining to long-term outcomes continues to accumulate, ‚the best way to proceed‘ is likely to be seen as ranging over a much more diverse range of treatment options and pathways, with each supported by a stronger evidence base than is currently available.”

Angesichts der spärlichen Evidenzbasis für den ‚genderbestätigenden medizinischen Weg‘ seien die Risiken für mögliche Schäden erheblich. Zurzeit fehle insbesondere ein besseres Verständnis der langfristigen Auswirkungen der medizinischen Transition auf körperliche Parameter wie die Gehirnentwicklung, auf die psychische Gesundheit, die Lebensqualität, die sexuelle Funktion und die Fruchtbarkeit.

Developmental Pathway Choices of Young People Presenting to a Gender Service with Gender Distress: A Prospective Follow-Up Study, Elkadi u a., 23.01.2023


Hintergrundinformationen

Doctor scrutiny on gender clinic reveals legal and safety fears, N. Robinson, theaustralian, 17.02.2023

Urgent action needed on gender clinic regulations, theaustralian, 18.02.2023