Wer nicht transitioniert, muss auch nicht detransitionieren

Ganz so einfach ist es mit der Relation Transition/Detransition natürlich nicht. Dr. Sarah Jorgensen, Uni Toronto, erörtert die neuesten klinischen und Forschungsfragen zu Transitions-Bedauern und Detransition. Sie versucht in diesem Rahmen auch Antworten auf die Frage zu finden, wie Detransitionen verhindert und vor allem unangemessene Transitionen vermieden werden könnten.

Die Abkehr vom sog. Gatekeeping bei gleichzeitiger Verbreitung des Affirmation-Only-Trends können dazu beigetragen haben, dass die Zahl derjenigen, die die Transition bedauern oder detransitionieren, ständig steigt.

„Transition-related medical interventions are now conceptualized as a means of realizing fundamental aspects of personal identity or “embodiment goals” (Ashley, 2022; Coleman et al., 2022; Schulz, 2017), in contrast to conventional medical care, which is pursued with the objective of treating an underlying illness or injury to restore health and functioning.”

Darüber hinaus werden im Rahmen des Affirmations-Trends komorbide psychische Gesundheitsprobleme tendenziell seltener als Hindernis für den Zugang zu Hormontherapien und Operationen bewertet.

Da medizinische Transitionen immer früher beginnen, bestehen berechtigte Zweifel, ob diese jungen Menschen die Folgen zum Zeitpunkt der Pubertätsblockade oder Hormonanwendung für ihre Zukunft verstehen können. Jorgensen verweist hierzu auf eine aufschlussreiche Studie aus den Niederlanden:

Medical decision-making competence regarding puberty suppression: perceptions of transgender adolescents, their parents and clinicians, Vrouenraets u.a. 2022

In dieser qualitativen Interviewstudie gaben die meisten Jugendlichen zu, dass sie sich der Bedeutung und der Auswirkungen ihrer Entscheidung, die pubertäre Entwicklung zu stoppen, zum Zeitpunkt ihrer Zustimmung nicht bewusst waren. Wie ein befragter Jugendlicher bemerkte:

"Natürlich war ich damals [als ich mich für den Beginn der Behandlung mit Pubertätsunterdrückung entschied] noch sehr jung, aber ich hatte schon lange darüber gejammert. Es war eher so: 'Ich muss es tun, ich muss es tun.' Habe ich es durchdacht [was die Behandlung mit Pubertätsunterdrückung und ihre möglichen Folgen mit sich brachten]? Nein." (Vrouenraets et al., 2022).

Jorgensen schreibt zur Einwilligungsfähigkeit:

„An adolescent’s ability to judge the value of an outcome in the future, resulting from a decision made today, is often impaired, especially when the outcome is far in the future and outside their present experience (Casey et al., 2008; UNICEF, 2017).”

Für Jorgensen gibt es noch andere plausible Gründe, warum die Rate der Transitions-Reue bei Menschen, die als Erwachsene transitioniert sind, tatsächlich geringer ist als bei denjenigen, die früh damit begonnen haben [und die wahrscheinlich auch unter größerem Zeitdruck standen als Erwachsene - Anmerkung von TTSB].

However, studies reporting low rates of regret are generally from an era when hormonal therapy and surgery were only undertaken under strict protocol.

Obwohl die Studienlage zur Detransition noch in den Kinderschuhen steckt, „werfen neuere Daten ein Licht auf die komplexen Erfahrungen, die Menschen zur Detransition bewegen":

Recent data, capturing the upsurge in the predominant adolescent-onset variant of gender dysphoria, suggest that detransition and/or regret could be more frequent than previously reported (Boyd et al., 2022; Butler et al., 2022; Cohen et al., 2023; Hall et al., 2021; Roberts et al., 2022).

Zahlen Detransition (dieser Beitrag reißt die meisten der o.g. Studien an)

Vorschläge

Sarah Jorgensen's Vorschläge, wie Detransitionen verhindert und unangemessene Transitionen vermieden werden können:

  • Verbesserung des Prozesses der informierten Zustimmung
  • Vorrangige Behandlung von gleichzeitig auftretenden sozialen, entwicklungsbedingten und psychologischen Problemen
  • Verwendung einer präzisen Sprache für medizinische Eingriffe (statt Verschleierung der Schwere von Eingriffen durch Euphemismen wie „Top-Operation”)
  • Unterstützung junger Menschen bei der Erweiterung ihres Verständnisses davon, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein,
  • Erläuterung von Alternativen zur Medikalisierung, Möglichkeiten andere Bewältigungsstrategien zu erkunden,
  • Transparenz in Bezug auf die Qualität der Belege für medizinische Eingriffe und die Ungewissheit über langfristige Schäden.

„Die Wissenschaft ist geklärt” vs. „Große Uneinigkeit, schwache und unsichere Evidenz”

„Patients, parents, and the general public in North America are often told that the use of hormonal therapies and surgery is uncontroversial and backed by rigorous science, yet there is a great deal of disagreement within the international medical community about the benefits and harms of these interventions (Block, 2023). Multiple European countries that were once strong proponents of the youth gender transition are now reversing course and prioritizing psychological support and treatment for comorbid psychiatric conditions after their own systematic reviews found the evidence underpinning gender-affirming medical interventions to be weak and uncertain (Block, 2023; Cass, 2022; COHERE, 2020; Ludvigsson et al., 2023; NICE, 2020a, 2020b; Socialstyrelsen, 2022).”

Transition Regret and Detransition: Meaning and Uncertainties, Sarah Jorgensen, 02.06.2023

Iatrogenic Harm in Gender Medicine, S. Jorgensen, 19.06.2023

Abbruch- und Detransitionsraten werden meistens gar nicht ermittelt

Auch die neueste Studie aus den Niederlanden, vom 26.01.2023 gibt wenig Aufschluss. Es wurden auf Basis der Behandeltenakten einige Zahlen veröffentlicht, mit welchen Interventionen die Kinder und -Jugendlichen mit Genderdysphorie im Amsterdamer UMC behandelt wurden. Die durchschnittliche Beobachtungszeit betrug 4,6 Jahre. Die Abbruchraten bei begonnenen Behandlungen war sehr gering (1,4 %), teils wegen abklingender GD, teils aufgrund psycho-sozialer Gründe, teils aufgrund einer Complience-Problematik. Die Detransitionsrate nach der letzten Behandlung im Amsterdamer UMC wurde nicht ermittelt.

Die Erfahrungen von Dr. Az Hakeem

Az Haakem, Psychiater und Psychotherapeut (London), äußerte sich kürzlich kritisch zu den allgemein sehr niedrig geschätzten Detransitionsraten. Er vermutet, dass es einfach an fehlenden Follow-Up-Studien liegt. Er habe all seine KlientInnen gefragt, niemand sei nachverfolgt worden. Nach der letzten Operation / Behandlung würden die Transitionierten frei in die Welt entlassen wie Schmetterlinge.
A Fun Friendly Chat with Dr. Az Hakeem, YT-Interview 22.08.2022

Dr. Az Hakeem, Facharzt für Psychiatrie und medizinische Psychotherapie und Honorary Associate Clinical Professor at University College London (UCL) Medical School aus London, hat jahrelang therapeutische Gruppen für Erwachsene moderiert. Er nahm jeweils zum Teil Personen auf, die eine medizinische Transition durchlaufen hatten und diese oder Teile davon bedauerten. Zum anderen Teil bestand die Gruppe aus Personen, die vor der medizinischen Transition standen und i. d. R. ‚gendereuphorisch' waren.

Lediglich 2 % der ‚gendereuphorischen‘ Teilnehmenden an den therapeutischen Gruppen haben schließlich die Transitions-OPs durchführen lassen, 98 % ließen sich nicht operieren.

Only 2 % of My Patients Went on to Transition, Podcast mit Az Hakeem, YT, 14.03.2024

Die Hoffnung auf ein besseres Leben

Literatur zum Thema Detranstion und Reue

Die Society for evidencebased Gender Medicine (SE GM) empfiehlt zum Phänomen der Detransition folgende Literatur:

  • Boyd I, Hackett T, Bewley S. Care of Transgender Patients: A General Practice Quality Improvement Approach. Healthcare. 2022; 10(1):121. Link
  • D’Angelo, R. (2020). The man I am trying to be is not me. The International Journal of Psychoanalysis101(5), 951–970. Link
  • Entwistle, K. (2020). Debate: Reality check – Detransitioner’s testimonies require us to rethink gender dysphoria. Child and Adolescent Mental Health, camh.12380. Link
  • Expósito-Campos, P. (2021). A Typology of Gender Detransition and Its Implications for Healthcare Providers. Journal of Sex & Marital TherapyLink
  • Hall, R., Mitchell, L., & Sachdeva, J. (2021). Access to care and frequency of detransition among a cohort discharged by a UK national adult gender identity clinic: Retrospective case-note review. BJPsych Open7(6), e184. Link
  • Littman, L. (2021). Individuals Treated for Gender Dysphoria with Medical and/or Surgical Transition Who Subsequently Detransitioned: A Survey of 100 Detransitioners. Archives of Sexual BehaviorLink
  • Marchiano, L. (2021). Gender detransition: A case study. Journal of Analytical Psychology66(4), 813–832. Link
  • Roberts, C. M., Klein, D. A., Adirim, T. A., Schvey, N. A., & Hisle-Gorman, E. (2022). Continuation of Gender-affirming Hormones Among Transgender Adolescents and Adults. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 107(9), e3937–e3943. Link
  • Vandenbussche, E. (2021). Detransition-Related Needs and Support: A Cross-Sectional Online Survey. Journal of Homosexuality, 20. Link

 

The Arc of Detransition

The Arc of Detransition, S. O'Malley, 10.03.2022

Die Detransitions-Insel

Der Versuch, das Phänomen der Detransition zu „kartieren” ...