cinderella g604e3cdc9 pennywithaney pixabayEin Märchen *)

Cinderella

hatte 2 ältere Brüder. Ihre Namen waren Bill und Bob. Sie trieben viel Sport, und Cinderella wusch ihre Wäsche und machte auch den Haushalt. Sie beklagte sich nicht, denn das waren halt die Tätigkeiten für Mädchen.

Aber eines Tages beschlossen Bill und Bob, auch Mädchen zu sein.

clothes line gc80ed231d mpkino pixabay800Statt Shorts und Sweatshirts wusch Aschenbrödel nun Kleider und Rüschensachen.

„Aber natürlich", sagte Cinderella zu Bill und Bob, „wenn ihr Mädchen sein wollt, solltet ihr eure Wäsche selbst waschen. Eigentlich solltet ihr die ganze Haushaltswäsche machen. Jetzt, wo ihr Mädchen seid."

Bill und Bob lachten ihr ins Gesicht und beschäftigten sich mit ihrem Make-up und ihren Haaren.

Sie waren wie besessen.
Nichts konnte sie mehr von ihrem eigenen Bild im Spiegel ablenken.

Ihre Kostüme und ihr Make-up wurden immer ausgefallener.

Sie trugen bunte Fahnen, wohin sie auch gingen.

Wir kündigen uns selbst an", erklärten sie.

Es ist nicht sehr weiblich, sich selbst anzukündigen", sagte Cinderella.
Echte Frauen warten, bis sie gefragt werden."

Quatsch!", sagten die Brüder und lachten ihrer Schwester ins Gesicht.

Cinderella machte sich an die Hausarbeit und wusch die Wäsche ihrer „Schwestern".

Ich glaube, ihr braucht ein paar Lektionen", sagte sie zu ihren Brüdern. „Ihr müsst lernen, wie man eine Frau ist."

Die Brüder lachten ihr ins Gesicht. Aber Cinderella fuhr fort.

Diese Kleider, die ihr mir zum Waschen gebt, sind lächerlich. Sie halten nicht lange, sind schlecht genäht, laufen ein und die Farben verlaufen. Was ihr braucht, sind ein paar schöne Polyesterkleider von einer Ladenkette. Die könnte man in der Waschmaschine waschen, und ich würde mir die ganze Arbeit sparen."

Die Brüder blieben auf ihren Frisiertischhockern sitzen (die eigentlich zu klein für sie waren) und lachten ihre Schwester aus.

drag queen gf6de6800d StockSnap pixabay600Ich glaube, du hast ein falsches Bild von uns", sagte Bob.

Du scheinst zu denken, dass wir gewöhnliche Frauen sein wollen", sagte Bill.

Das ist das Letzte, was wir wollen", sagte Bob. „Wir wollen nicht gewöhnlich sein. Warum sollten wir?"

Der Grund, warum wir weiblich sein wollen", sagte Bill, „ist, dass wir außergewöhnlich sein wollen. Wir wollen wahrgenommen werden. Niemand bemerkt uns, wenn wir männlich sind, und wir sind nicht einmal besonders gut im Rugby."

Verstehst du denn nicht?", sagte Bob. „Alles, was wir tun, ist inszeniert. Sogar jetzt sind wir auf der Bühne."

Alles, was wir tun, alles, was wir sagen", sagte Bill, „ist ein Schauspiel."

Cinderella war schockiert. „Aber das kann doch nicht wahr sein", sagte sie. „So kann man nicht leben. Es muss doch irgendwo eine gewisse Authentizität geben."

Was hältst du von dieser Pflaumenfarbe?", sagte Bob und verteilte die Farbe auf seinen Lippen.

Nicht gut", sagte Bill. „Dieses Magenta ist viel besser. Viel kräftiger."

Redet ihr denn nie über etwas Echtes?", sagte Cinderella.

Echt!", sagten die Jungen und lachten ihr ins Gesicht. „Wirklich wahr!"

Ja, echt", sagte Cinderella.

Was zum Beispiel?", fragte Bill. „Was ist echt?"

Ja", sagte Bob, „dann sag uns Klugscheißerin, was ist echt? Bist du echt? Ist diese Müllkippe echt?"

Ja, ich bin echt", sagte Cinderella, „und ja, diese Müllhalde ist echt, und sie muss sauber gemacht werden, und ich habe es satt, die Einzige zu sein, die Hausarbeit macht!"

Aber die Jungs nahmen keine Notiz davon.

Sie hatten sich in Drag Queens verwandelt und trugen Kleider, die ausgefallener und freizügiger waren, als sie eine echte Königin je getragen hätte.

Sie trugen sie in der Stadt, wo sie mit anderen als Frauen verkleideten Männern tanzten und auf Festwagen herumtanzten und bunte Fahnen schwenkten, während unschuldige und dumme junge Frauen sich wie verrückt um sie herumtrieben und sie anfeuerten und Männer mit schwarzen Masken jeden bedrohten, der in der riesigen Menschenmenge widersprach.

Wozu macht ihr das eigentlich?" fragte Cinderella.

Es zeigt unsere Identität", sagten die Brüder.

Ihr meint, eure Identität besteht darin, was ihr tragt und welche Fahne ihr schwenkt?" sagte Cinderella. „Ihr meint, ihr wisst wirklich nicht, wer ihr seid?"

Natürlich wissen wir, wer wir sind", sagten die Brüder. „Wir werden bestätigt, wo immer wir hingehen. Es ist, als ob man berühmt wäre."

Aber ihr macht doch gar nichts", sagte Cinderella. „Eure Identität kann nicht nur darin bestehen, was ihr anhabt."

Die Brüder dachten darüber nach und schmiedeten einen Plan.

lgbt g31b59c51e 1280 Surprising Shots pixabay800Sie gingen in die örtliche Bibliothek und sagten der Bibliothekarin, dass sie kleine Kinder unterhalten wollten.

Die Bibliothekarin war sehr erfreut, dass Dragqueens in ihre kleine Stadtbibliothek gekommen waren. Sie lud sie ein, wann immer sie wollten, zu kommen und die kleinen Kinder zu unterhalten.

Die Brüder wussten nicht viel über Unterhaltung und noch weniger über kleine Kinder. Sie dachten, alles, was sie zu tun hätten, sei anzugeben. Sie würden mit ihren Kleidern und ihrem absurden Make-up angeben, und das würde die Kinder glücklich machen. Vielleicht würden sie sogar ihre gerüschten Schlüpfer ausziehen und den Kindern ihren Hintern zeigen! Das würde die Kinder zum Kichern bringen, und das würde beweisen, dass sie glücklich waren. Und das würde beweisen, dass die Brüder beliebt und erfolgreich waren.

Die Brüder wurden so beliebt, dass sie zu großen Festen und Bällen eingeladen wurden. Und sie wurden sogar zum Ball des Prinzen im Schloss eingeladen.

Cinderella sah ihnen zu, wie sie sich anzogen, wie sie ihre Kleider hundertmal wechselten, wie sie weinten, wenn sie sich nicht wohlfühlten, und wie sie lachten, wenn sie sich wohlfühlten.

Schließlich machten sie sich auf den Weg zum Palast, und Cinderella atmete die Stille und den Frieden ein und brach dann erschöpft von all der hysterischen Anspannung zusammen, die durch den Kitzel der erfundenen Geschlechtswechsel ausgelöst worden war.

Sie muss eingeschlafen sein und stellte beim Aufwachen fest, dass sie Gesellschaft hatte. Eine alte Frau stand neben ihr und fragte:

Warum bist du nicht auf dem Ball?"

Ich wurde nicht eingeladen", sagte Cinderella. „Und außerdem habe ich nichts zum Anziehen. Und ich hasse Kleider!"

Das werden wir gleich sehen", sagte die alte Frau und schwenkte ihren Zauberstab. Sofort war Cinderella sauber geschrubbt und in ein prächtiges Gewand gekleidet, zu dem ausgerechnet Glaspantoffeln gehörten!

horses g72fd297ed 640Thunderstorm pixabay600Es schien nicht richtig zu sein, einen Bus zum Schloss zu nehmen, wenn man so prächtig gekleidet war. Also schwang die alte Frau ihren Zauberstab und verwandelte einen Kürbis in eine goldene Kutsche, die von 4 weißen Pferden gezogen wurde. Cinderella stieg ein und wurde zum Schloss gebracht.

Der Rest ist bekannt. Inmitten der Aufregung und des Trubels fiel dem Prinzen Cinderella auf. Sie war hübsch, brav, ruhig und sehr feminin, genau das Gegenteil von Bill und Bob. Sie tanzte den ganzen Abend mit dem Prinzen, und als die Uhr Mitternacht schlug, rannte sie los und sprang gerade noch rechtzeitig in die Kutsche, um nach Hause zu kommen, bevor sie sich in einen Kürbis verwandelte.

Cinderella schrubbte und wusch und putzte weiter, und ihre Brüder bemerkten nicht einmal, dass etwas an ihr anders war.

Doch dann klopfte es an der Tür. Cinderella wollte öffnen, wie sie es immer tat, aber ihre „Schwestern" waren zuerst da. Sie hatten aus dem Fenster geschaut und den Prinzen mit seinem Gefolge kommen sehen, der einen gläsernen Schuh vor sich her trug.

Cinderella ging zurück in die Küche. Sie sah den Prinzen erst, als sie von den gekränkten und beleidigten „Schwestern" aufgefordert wurde, den Emporkömmling aus dem Haus zu geleiten. Der Prinz war angewidert von der Selbstverherrlichung der beiden Drag Queens, die beide behauptet hatten, Besitzer des gläsernen Schuhs zu sein. Sie hatten gegeneinander gekämpft wie Rugbyspieler bei einem Tackling und sich sogar Stücke von den Füßen geschnitten, um zu versuchen, sie in das zarte Schuhwerk zu quetschen.

Cinderella sah den Prinzen zur Tür gehen. Sie sah furchtbar aus, aber was soll's? Sie war immer noch bezaubernd, immer noch natürlich schön, immer noch der Augapfel des Prinzen.

fantasy land gd1cf2b7df 1280 juliusH pixabay800Und der Prinz erkannte sie nicht nur als das Mädchen, mit dem er in der Nacht zuvor getanzt hatte, sondern es wurde ihm auch klar, dass es sich um seine Partnerin fürs Leben handelte.

Und so heirateten sie und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Aber was aus den „Schwestern" wurde, ist nicht bekannt.
Hoffentlich haben sie ihren Frieden mit der Wirklichkeit gemacht.

            

*) Erzählt von Penny Allen, Großmutter eines transidentifizierten Teenagers; übersetzt aus dem Englischen, mit freundlicher Genehmigung von PITT