Niederländische Profs kritisieren ‚Niederländisches Protokoll‘

Fünf niederländische ProfessorInnen, darunter 4 Forschungsmethodiker, die auf die Überprüfung komplexer wissenschaftlicher Studien über Behandlungen und Medikamente spezialisiert sind, haben sich im Auftrag von BNNVARA mit dem ‚Niederländischen Protokoll' beschäftigt. Sie bestätigen, dass auch sie es für wissenschaftlich unzureichend halten. Die ProfessorInnen, darunter Gerard van Breukelen (Professor für Methodologie an der Universität Maastricht) sagten, die beiden damals als innovativ geltenden Studien seien keine solide Grundlage für die Durchführung radikaler und nicht umkehrbarer medizinischer Eingriffe an Teenagern und jungen Erwachsenen.

Die Qualität der damaligen Studien leide u. a. unter dem Fehlen einer Kontrollgruppe, der geringen Probandenzahl, der hohen „Ausfallquote” [von einer Teilstudie zur nächsten], der Parallelität von medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung sowie der Tatsache, dass einer der ursprünglich 77 physisch gesunden Transgender-Teenager an den Folgen der Genitaloperation im Amsterdamer Klinikum starb.

Niederländische TV-Sendung: Das Transgender-Protokoll

Am 26.10.2023 lief auf dem öffentlich-rechtlichen Kanal der Niederlande BNNVARA / NPO2  die Dokumentation "Das Transgender-Protokoll", in der u. a. auch die Kinderpsychiaterin Annelou de Vries als eine der Studienautorinnen zu Wort kam sowie die finnische Professorin für Psychiatrie Riittakerttu Kaltiala, ihre schwedischen KollegInnen Mikael Landén und Angela Sämfjord sowie die britische Journalistin Hannah Barnes.

De Vries behauptete, die Verwendung einer Kontrollgruppe wäre unethisch, was von den befragten Methodik-Experten widerlegt wurde. Zudem standen vor Studienbeginn über 200 "BewerberInnen" zur Verfügung, von denen nur 77 ausgewählt wurden, sodass die Bildung einer Kontrollgruppe möglich gewesen wäre.

Außerdem glaubt de Vries, dass mittlerweile international viele zusätzliche Erkenntnisse veröffentlicht worden wären.
Professor Landén, der im Auftrag der schwedischen Regierung alle relevanten Studien über Pubertätsblocker überprüft hat und keine Beweise für die positive Wirkung fand, weist diese Behauptung zurück:

„Die Studien in diesem Bereich sind von geringer Qualität und würden in anderen Bereichen nicht als Beweise akzeptiert werden."

Auch das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) hatte 2020 ebenfalls „systematischen Überprüfungen" durchgeführt, die die Evidenz der zur Genderdysphorie-Behandlung verwendeten Hormone als "von sehr geringer Sicherheit" (das bedeutet die niedrigste Klasse wissenschaftlicher Beweise).

Mittlerweile haben einige nordische Länder wie Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark sowie das Vereinigte Königreich die Standard-Versorgung von Transgender-Jugendlichen geändert. Aus Gründen der Vorsicht werden z. B. Pubertätsblocker als „experimentelle Behandlung” nur noch in speziell definierten Fällen angewendet.

Nederlandse experts: bewijs genderbehandeling onvoldoende, 26.10.2023 (engl.)

A major documentary in the Netherlands shakes the foundations of gender medicine, B. Lane, 28.10.2023


Sind hochwertige klinische Studien zu Hormonen bei U18 überhaupt möglich?

Möglicherweise geht es weniger darum, ob es bei Studien eine Kontrollgruppe gibt oder nicht, sondern - viel grundsätzlicher - ob solche hochwertigen klinischen Studien zu Hormonen, die wegen Genderdysphorie eingesetzt werden, bei Teenagern überhaupt aus ethischen Gründen möglich sind.

Sind entsprechende klinische Studien zu gegengeschlechtlichen Hormonen jemals bei Erwachsenen durchgeführt worden? Wahrscheinlich nicht bzw. nicht in der Qualität, dass es für eine Arzneimittel-Zulassung gereicht hätte.

Bevor die Niederländer mit ihren Experimenten bei Kindern begannen, haben sie Pubertätsblocker noch nicht einmal in Tierversuchen erprobt, obwohl z. B. die verantwortliche Endokrinologin Henriette Dellemarre-van de Waal ein entsprechendes Labor hatte.

"She actually had a laboratory full of rats. ... So they could have easily tested, done some randomized control trials on rats just to see what's the effect of puberty suppression. But they chose not to and instead chose the young girl who we know is [named] FG [in the study] to become their first kind of guinea pig and case study." M. Biggs, 2023

Kathleen Stock sprach jetzt mit einer Leiterin von NHS-Forschungsstudien. Sie äußerte große Skepsis, dass eine ordnungsgemäße klinische Studie zu Pubertätsblockern jemals den international anerkannten, nach ethischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgestellten Regeln der Guten Klinischen Praxis entsprechend durchgeführt werden könnte. Sie sagte Stock:

„Children get classed as a vulnerable group. They need to have very special protections, and the rationale is just not there. The possible impacts [of blockers] on a child are so high that the moment that this was recognised, the study would be shut down. If you had a healthy child, and you recognised that medication could confirm sterility issues, or fertility issues, or bone density issues, the trial would be stopped at that point. It would be completely insane to run such a trial.”

Inside Britain’s new trans clinics, Kathleen Stock, 19.10.2023

Bis heute sind vermutlich alle Teenager und junge Erwachsene „Versuchskaninchen", die sich in unkontrollierten Experimenten (off-label) auf Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone einlassen, in der ungewissen Hoffnung, dass sich ihre Probleme vermindern.


Weitere Links zum Thema der Qualität und Relevanz des Niederländischen Protokolls

Das Niederländische Modell - populär, aber evidenzschwach

Niederlande - Hört auf, unsere Forschung blindlings zu übernehmen

Pubertätsblocker - Das niederländische Protokoll

Die schwedischen ExpertInnen sprechen im o. g. Film auch an, dass ihnen schon früh aufgefallen ist, dass ihre Teenager-PatientInnen ganz anders waren, als die StudienteilnehmerInnen der Studien zum Niederländischen Protokolls. Professor Michael Biggs hat genauer beschrieben, warum das Dutch Protocol keine Relevanz für die Behandlung der heutigen ROGD-Teenager hat.

Neue Kritik: Niederländischer Schlamassel statt Goldstandard

Auch die finnische Prof. R. Kaltiala hatte bereits 2015 festgestellt, dass die Teenager, die mit GD vorstellten, ganz anders waren, als die Teilnehmenden am Niederländischen Protokoll.

Finnland priorisiert Psychotherapie wg. nicht schlüssiger Evidenzlage